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zu den Beziehungen zwischen Marot und dem berühmtesten Kenner der lateinischen Sprache und Literatur, Estienne Dolet, dem „Märtyrer der Renaissance". Dieser Humanist, den die ungenaue Wiedergabe einiger Worte des Sokrates in dem von ihm gedruckten Dialog „Axiochus“ (fälschlicherweise dem Plato zugeschrieben) schließlich auf den Scheiterhaufen brachte (1546), hatte im Jahre 1536 mit seinen „Commentarii Linguae Latinae" dem Hauptwerke Budés ein würdiges Gegenstück zur Seite gestellt.

An diese „Commentarii" knüpft ein Epigramm Clément Marots aus dem Jahre 1538 an. (Bei Lenglet Dufresnoy III, 53 ist es auch direkt überschrieben: D'Estienne Dolet, sur ses commentaires de la langue Latine.) Wohl selten ist einem Humanisten aus dem Munde eines Dichters so begeistertes Lob zuteil geworden, wie es die folgenden Verse enthalten:

Le noble esprit de Cicero Rommain,

Voyant ça bas maint cerveau foible et tendre
Trop maigrement avoir mys plume en main
Pour de ses dictz la force faire entendre,
Laissa le ciel, en terre se vint rendre,

Au corps entra de Dolet, tellement

Que luy sans autre à nous se faict comprendre
Et n'a changé que de nom seulement. (III, 22.)

Außerdem hat Marot in diesem Epigramm mit Glück und Geschick den Hauptruhm Dolets, die gründliche Kenntnis Ciceros, dessen Werke ja auch seine Lieblingslektüre bildeten, hervorgehoben. Cicero war ja einer der ersten Lieblinge der Humanisten überhaupt. „The charm of Cicero's style, his general tone of intelligence, his sensible but shallow and commonplace philosophy, his scholarly contempt for the ignorant, his sometimes acute and always polished sarcasms, his utter disbelief in and disreguard for the superstitions and creeds not only of the vulgar but of the orthodox, and even his ill-concealed vanity, wrapped up but not disguised by the pomp of flowing and well-chosen words, in short,

his defects as well as his merits all contributed to his influence. 1)

Daß auch die Freundschaft zwischen Marot und Dolet einen gewissen Grad von Vertrautheit erlangte, geht aus einem Gedichte an „Estienne Dolet" hervor, das unter den Étrennes steht und mit den Versen beginnt: Après avoir estrené damoyselles,

Amy Dolet, je te veulx estrener. (II, 200.)

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Besondere Bedeutung aber erhielt die Bekanntschaft der beiden Männer dadurch, daß Dolet dreimal, 1538, 1542 und 1543 (vgl. R. C. Christie, a. a. O. S. 376) Marots Werke druckte. Wie hoch unser Dichter die Sorgfalt Dolets in der Herausgabe von Texten, seine philologische Akribie und sein reiches Wissen zu schätzen verstand, das beweist die „Préface de la première édition entière de Clément Marot, à Lyon 1538." Sie ist nach Art der römischen Grußformel überschrieben: „Clément Marot à Estienne Dolet Salut." Marot beklagt sich über den Mißbrauch, der während seiner Abwesenheit mit seinen Dichtungen getrieben worden ist, und hat 'beschlossen, nach einer genauen Durchsicht alle seine Werke („le tout“) an Dolet zu schicken: affin que . tu le faces reimprimer non seulement ainsi correct que je le t'envoye, mais encores mieulx, qui te sera facile, si tu y veulx mettre la diligence egalle à ton sçavoir (IV, 195). Diese Stelle, wie die weiter unten folgende Anrede mit „doct Dolet" sind deutliche Zeichen dafür, wie Marot auch diesem großen Humanisten Ehrerbietung und Hochachtung zollte. Wie nun andrerseits auch Dolet von den freundschaftlichsten Gefühlen für Marot erfüllt war, wie er ihn gegen verleumderische Angriffe und Verdächtigungen in Schutz nahm, das zeigt seine Vorrede zum „Enfer" aus dem Jahre 1542. Depuis peu de temps voulant mettre en lumière soubz mon impression toutes les œuvres du tien et mien amy Clément Marot (I, 47; die Vorrede ist an Lyon Jamet

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1) R. C. Christie: Étienne Dolet. p. 15.

"

gerichtet) Et pour ce qu'en lisant l'ay trouvé sans scandale envers Dieu et la religion, et sans toucher aucunement la majesté des princes (qui sont les deux poincts que surtout doibt observer un auteur desirant ses œuvres estre publiées et reçues tant en son pays qu'en nations estrangeres), et que pareillement il ne blesse en nom exprès l'honneur d'aucun, pour ces raisons j'ay conclud que la publication de si gentil œuvre estoit licite et permise, et me suis mis après pour l'inprimer en la plus belle forme et avec le plus grand ornement qu'il m'a esté possible.“

Leider wurde diese Freundschaft zwischen Marot und Dolet noch im letzten Lebensjahre unseres Dichters jäh zerrissen, und eins der schärfsten und bittersten Epigramme Marots trägt die Überschrift „A Estienne Dolet“:

Tant que voudras jette feu et fumée,
Mesdi de moy à tort et à travers;

Si n'auras tu jamais la renommée

Que de longtemps tu cherches par mes vers,
Et nonobstant tes gros tomes divers
Sans bruit mourras, cela est arresté;
Car quel besoin est il, homme pervers

Que l'on te sache avoir jamais esté? (III, 91.)

Nach diesen Versen scheint Marot von seinem Freunde verleumdet worden zu sein. Wo bei dieser Entzweiung die Hauptschuld gelegen hat, wird sich wohl nie mehr ergründen lassen; aber schmerzlich zu beklagen ist es, daß dieses freundschaftliche Verhältnis zwischen dem berühmten Dichter und dem angesehenen Gelehrten noch kurz vor dem Tode des Einen mit einer so schrillen Dissonanz enden sollte. 1)

Wir sind am Schlusse unserer Betrachtung über die Beziehungen Marots zu den Humanisten und humanistischen Bestrebungen seiner Zeit. Die bedeutendsten Gelehrten kannte unser Dichter persönlich, und ihrer Tätigkeit brachte er jederzeit das regste Interesse entgegen. Konnte er sich auch mit ihnen nicht im entferntesten an Wissen und Gelehrsamkeit

1) Vgl. darüber auch: R. C. Christie, a. a. O. S. 377.

messen, hat er auch nie einen Versuch gemacht, gleich ihnen gründlicher in das Wesen der Antike einzudringen, in der Tendenz fühlte er sich jedenfalls immer einig mit ihnen, in dem Bestreben, der Antike, dem Humanismus zum Siege zu verhelfen. Und aus alledem ergibt sich dies Eine mit Sicherheit, was ihm hoch angerechnet werden muß: Clément Marot ist sich der großen Bedeutung seiner Zeit bewußt geworden. Er weiß, welche tiefgehende Wandlung sich auf geistigem Gebiete vollzieht, er bewillkommnet das Wiederaufleben des klassischen Altertums, er erkennt, daß die Regierung Franz' I. für das Geistesleben Frankreichs keine geringere Bedeutung hat als die Tage des Augustus und Maecenas für Rom. Wie nahe unserem Dichter der Vergleich seiner Zeit mit den ersten Jahrzehnten der römischen Kaiserherrschaft liegt, geht aus vielen Stellen hervor. So nennt er z. B. den König seinen Maecenas:

Tu m'as escript, je te respons aussi

Et si tu n'as beaucoup de vers icy,

Supporte moy: les Muses me contraignent

Penser ailleurs et fault que mes vers plaignent

La dure mort de la mere du Roy,

Mon Mecenas. (I, 200.)

Seine Verbannung erinnerte ihn an das ähnliche Schicksal Ovids:

Remerciez ce noble roy de France,

Roy plus esmeu vers moy de pitié juste
Que ne fut pas envers Ovide Auguste.
Car quand banny aux Gethes tu estois,
Ruisseaulx de pleurs sur ton papier jettois,
En escrivant sans espoir de retour,

Et je me voys mieulx que jamais autour
De ce grand Roy . . . . (I, 239 f.)

So ist Franz I. für unseren Dichter Maecenas und Augustus zugleich, ja, er übertrifft wohl sogar noch die Cäsaren in der Fürsorge für Kunst und Wissenschaft:

Mais que grand mal te veulent

Dont tu as faict les lettres et les arts

Plus reluysans que du temps des Césars. (I, 214.)

Auch in diesen Parallelen zur römischen Kaiserzeit offenbart sich Marots lebhaftes Gefühl für die Verwandtschaft beider Epochen, sein Interesse für das Wiedererwachen der Antike.

Damit sind wir nun am Schlusse dieses Teiles angelangt, der uns zeigen sollte, wie Marot über die Antike urteilte, welche Schätzung und Würdigung sie von ihm erfuhr, wie er den humanistischen Bestrebungen seiner Zeit gegenüberstand, und schließlich, welchen Nutzen er aus ihnen für sich selbst zog, bezw. ziehen konnte.

Was im Besonderen noch diesen letzten Punkt betrifft, so darf man wohl sagen, daß die ersten wirklich bedeutenden Anfänge des französischen des französischen Humanismus in eine Zeit fallen, wo Marot schon erwachsen war und seine an bunten Abwechslungen so reiche Stellung als Hofdichter ihm kaum noch zu einem ernsteren und gründlicheren Studium der antiken Literatur Gelegenheit bot. Man braucht nur sein wechselvolles Schicksal zu bedenken: Im Jahre 1518 kommt er als Kammerdiener an den Hof Margaretens, der Schwester des Königs, 1520 folgt er Franz I. nach Reims und Ardres, 1521 begleitet er den Herzog von Alençon ins Lager nach Attigny, 1525 nimmt er am italienischen Feldzuge teil, kämpft bei Pavia, wird verwundet, gefangen und ohne Lösegeld freigegeben, wird 1526 im Chastelet gefangen gesetzt, erhält im selben Jahre seine Freiheit wieder, muß 1527 abermals ins Gefängnis wandern, aus dem ihn erst der König befreit, und lebt von da an in beständiger Fehde mit der Geistlichkeit, die ihn als Ketzer in Verdacht hat und 1535 seine Flucht bewirkt. (vgl. Birch-Hirschfeld a. a. O. S. 122.) Erst im nächIsten Jahre durfte Marot zurückkehren. Noch kurze Zeit vor seinem Tode sah er sich abermals zur Flucht genötigt. Er hielt sich kurze Zeit in Genf auf, wurde auch von dort vertrieben und starb bald darauf 1544 in Turin, fern von seinem geliebten Frankreich.

Zieht man dieses wechselvolle äußere Schicksal in Betracht, vergiẞt man ferner nicht, daß Marots ganze Naturanlage, sein leicht bewegliches Wesen, das er selbst einmal

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