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klassischen Zeit nicht ganz unbewandert war, zeigt sich in der Préface du Roman de la Rose. Bei seinem Bemühen, den tieferen Sinn der Rose religiös-moralisch zu deuten, begegnen wir folgender Stelle: Ceste manière de rose spirituelle, tant bien spirant et refragant, pouvons aux roses figurer par la vertu desquelles retourna en sa première forme le grant Apulée, selon qu'il est escript au livre de l'Asne d'or, quand il eust trouvé le chappelet de fleurs de rosier pendant au sistre de Cerès, deesse des bledz. Car tout ainsi que ledict Apulée, qui avoit esté transmué en asne, retrouva sa première figure d'homme sensé et raisonnable, pareillement le pecheur humain faict et converty en beste brute par irraisonable similitude, reprent son estat premier d'innocence par la grace de Dieu qui luy est conferée, lorsqu'il trouve le chappelet ou couronne de roses, c'est asçavoir l'estat de penitence pendu au doulx sistre de Cerès, c'est à la doulceur de la misericorde divine.') Diese Stelle ist ein weiterer interessanter Beweis dafür, wie stark auch in der Vorrenaissance noch der Reiz war, die alte Literatur zu christlich-moralischen Zwecken auszubeuten.

Wenn wir der Vollständigkeit wegen noch die beiden Geschichtsschreiber Valerius und Orosius erwähnen, deren Marot in der XVI. Elegie gedenkt:

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Comptant les faicts des antiques Rommains (II 36),

dann ist damit die Reihe der bei ihm mit Namen angeführten antiken Autoren erschöpft.

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Es bleiben nun noch die Stellen übrig, an denen unser Dichter im Allgemeinen von den Alten - Griechen wie Römern redet. Da können wir die Beobachtung machen, daß dies immer nur im Tone der Hochachtung und Ehrerbietung geschieht. War ihm doch diese Ehrfurcht vor den antiken Autoren schon von seinem Vater eingepflanzt und gleichsam mit als letztes Vermächtnis hinterlassen worden

1) IV 185.

in der Ermahnung, die wir bereits einmal zu zitieren Gelegenheit hatten:

„Tu en pourras traduyre les volumes

Jadis escriptz par les divines plumes

"

Des vieux Latins, dont tant est mention." (I 204.) Deshalb wendet sich ja auch Clément Marot, um dem König etwas ganz Besonderes bieten zu können, nicht seinen eigenen Erfindungen", sondern den livres latins" zu, von denen er in der schon mehrmals erwähnten Vorrede zu den Metamorphosen sagt: „dont la gravité des sentences et le plaisir de la lecture (si peu que je y comprins) m'ont espris mes esprits, mené ma main et amusé ma Muse." (III, 153.)

Wer nicht imstande ist, den Originaltext zu verstehen, der soll wenigstens Übersetzungen aus der antiken Literatur lesen, und den Übersetzern für diesen Genuß dankbar sein. So rät Marot in dem Epigramm „Sur les apophthemes des anciens":

Si sçavoir veulx les rencontres plaisantes
Des saiges vieulx faictes en devisant;
O tu qui n'as lettres à ce duysantes,
Graces ne peulx rendre assez suffisantes
Au tien Macault, ce gentil traduisant;}

Car en ta langue orras, icy lisant,

Milles bons motz propres à oindre et poindre,

Dictz par les Grecz et Latins, t'advisant,

Si bonne grace eurent en bien disant,

Qu'en escripvant Macault ne l'a pas moindre (III 111).

Bei Griechen wie bei Römern rühmt er ferner die große
Weisheit (I, 120; II, 92), sie führt er vor allem dann mit als
Autoritäten an, wenn er über allgemein
über allgemein menschliche
Fragen redet. So sagt er z. B. in der Epistel „A son
amy Papillon, contre le fol Amour":

Qu'est-ce qu'amour? Voy qu'en dit Saint Gelays,
Petrarque aussi, et plusieurs hommes lays,
Prestres et clercs, et gens de tous estophes,

Hebreux et Grecs, Latins et philosophes. (I 288.)

"

Schließlich sei noch eine Stelle aus dem Sermon du bon pasteur et du mauvais" angeführt, deren Zweck zwar zunächst

die Verherrlichung des christlichen Glaubens ist, gegenüber aller weltlichen Größe und Macht und Weisheit, an der aber doch auch der Ruhm der Griechen und Römer gerade dadurch verkündet wird, daß sie als das glänzendste Beispiel weltlicher Größe hingestellt werden. Es sind dies die Verse: Tous les haultz faictz des Sept Sages de Grece, Et de Brutus, lequel vengea Lucresse,

De Publius, et de Pamphilius,

De Marc Caton Censeur ef Tullius,

De tous les Grecz et de tous les Romains

Qui ont tenu le monde souz leurs mains,
Son inutilz, comme estans fais sans foy,

Mais pour leur gloire, et pour l'amour de soy. (I 86.)

Welchen Gesamteindruck hinterlassen nun alle diese Erwähnungen und Beurteilungen antiker Autoren und Werke? Da ist zunächst keine Rede von irgend welchem kritischen Standpunkte. Darüber braucht man sich nicht zu wundern. Zwei Kulturepochen wechselten damals. Das klassische Altertum, in diesem Falle das neue Element, drang überall siegreich ein und verdrängte allmählich das mittelalterliche Kulturideal. Diejenigen aber, die der wiedererstehenden Antike freudige Aufnahme gewährten, hatten zunächst nur das Verlangen, möglichst viel von diesen reichen Schätzen einzuernten; ihre frohe Aufregung ließ sie noch gar nicht zu einer ruhigen Sichtung des gewonnenen Reichtums gelangen. Erst allmählich bahnte sich eine wissenschaftliche Betrachtung und ein wirkliches Studium der antiken Literatur an.

Aber auch ganz abgesehen von dem Fehlen jeder Kritik zeigen jene Stellen in Marots Dichtungen durchaus nicht, daß es ihm gelungen wäre, tiefer in das eigentliche Wesen des betreffenden Autors einzudringen. Mit Ausnahme der uns bekannten Bemerkung über die schöne Form und Sprache der Ovidischen Poesie finden wir keine Stelle, aus der mit Deutlichkeit zu ersehen wäre, daß er einen Einblick in die individuellen Eigentümlichkeiten der einzelnen Dichter und in die charakteristischen Schönheiten ihrer Werke gewonnen hätte. Immer nur allgemeine Lobsprüche, immer nur allge

meine Ausdrücke der Hochachtung, sei es, daß er von besonderen Dichtern und Werken redet, sei es, daß er von den Griechen und Römern in ihrer Gesamtheit spricht. „Grand", „noble“, „divine“, „sage“, dies sind die hauptsächlichsten Epitheta, die Marot anwendet, wenn er die Autoren des Altertums erwähnt. Diese mehr auf einem halbunbewußten Gefühl der Ehrfurcht als auf klaren und deutlichen Kenntnissen beruhende Hochachtung erinnert zweifellos an die Art und Weise, wie man im Mittelalter die antike Literatur betrachtete und schätzte. "The classic writings were received as the works of a greater time, they were accepted as authorities upon whatever topic they treated or could be interpreted into treating. There was little literary appreciation of them, and scanty severing of legend and fiction from history and science. The utmost human knowledge was ascribed to the authors. . .“ 1). Gerade durch diese ungenaue Kenntnis wurde das Ansehen der antiken Autoren erhöht. Sie thronten wie in einem mystischen Halbdunkel, und mit einem ehrfurchtsvollen Schauer blickte das Mittelalter zu ihnen hin. Zu Marots Zeit war freilich jene Schranke der Unkenntnis schon an vielen Stellen durchbrochen, aber erst allmählich gelangte man dazu, dieser gewaltigen Fülle neuen Bildungsstoffes Herr zu werden und mit der Bewunderung der antiken Literatur auch eine ästhetische Würdigung, ein Verständnis für die ihr zu Grunde liegenden geistigen Kräfte und Strömungen und endlich auch eine kritische Betrachtung zu verbinden.

Und noch eine andere Umwandlung vollzog sich in jener Zeit. Das Mittelalter hatte zunächst und vor allem Freude an der Dichtung selbst, der Dichter war ihm gleichgültig. Sind uns doch eine Unzahl von Werken, zum Teil die berühmtesten und schönsten, ohne einen bestimmten Verfassernamen überliefert. Auch der Dichter selbst besaß in den meisten Fällen nicht den Ehrgeiz, seinen Namen unzertrenn

1

1) H. O. Taylor: The classical heritage of the Middle Ages. New York 1901. p. 46.

lich mit seinem Werke verbunden zu sehen. Nun hatte sich zwar diese Anschauung gegen Ende des Mittelalters schon insofern etwas verändert, als jetzt der Autor mehr Gewicht darauf legte, daß nicht nur seine Dichtungen, sondern auch er als Verfasser dieser Dichtungen bekannt würde. Hinsichtlich der Vorbilder dagegen, denen man Gedanken, oft wörtlich, entlehnte, verfuhr man auch jetzt noch mit einer gewissen Unbefangenheit. Da interessiert meist nur der Stoff, selten wird der Autor genannt. Dies Verfahren bleibt auch noch in Anwendung, als sich der reiche Strom antiker Dichtungsstoffe über die französische Literatur ergießt. Erst allmählich beginnt man sich für die einzelnen antiken Autoren zu interessieren, erst nach und nach sucht man zu einem Verständnis der inneren Beziehungen zwischen der Individualität des Dichters und seinem Werke zu gelangen.

Clément Marot zeigt sich auch in diesem Punkte als Kind seiner Zeit, die eben in jeder Hinsicht eine Zeit des Übergangs ist: Wohl fanden wir bei ihm schon eine Anzahl klassischer Autoren mit Namen angeführt, aber dann werden sie immer nur zu einem ganz besonderen Zwecke, meist zu einem Vergleiche verwendet. Sonst überwiegt auch bei Marot noch im Großen und Ganzen das Interesse am Stoff der antiken Literatur. Und wieviel antiker Dichtungsstoff in seinen poetischen Erzeugnissen verwertet ist, darüber seien jetzt noch ein paar Worte gesagt.

Es würde kaum denkbar sein, daß sich Marots Kenntnis der antiken Literatur auf die immerhin recht geringe Anzahl der mit Namen angeführten Autoren beschränken sollte. Es finden sich im Gegenteil bei einer gründlicheren Lektüre seiner Dichtungen soviele Spuren der Antike und eine solche Fülle klassischer Reminiszenzen, daß man in der Tat berechtigt ist, von einer gewissen Vertrautheit unseres Dichters mit dem Altertume zu reden. Wenn man aber bedenkt, daß viele Erzählungen und Berichte bei mehreren antiken Autoren zugleich überliefert sind, wenn man ferner in Erwägung zieht, daß manche Bilder und Gleichnisse schon von den alten

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