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573-43

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4-2-41

Die ersten Anfänge der französischen Renaissance, d. h. die frühesten Anzeichen einer intensiveren und vorurteilsfreieren Beschäftigung mit dem klassischen Altertum, reichen weit zurück und führen in ihrem Ursprung nach Italien. Die dort im 14. Jahrhundert so gewaltig anhebende Bewegung des rinascimento, an deren Anfang Petrarca und Boccaccio stehen, war nicht ohne Wirkung auf die französische Schwesternation geblieben. Bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts finden wir in Frankreich Übersetzungen antiker Autoren (so übertrug Nicolas Oresme mehrere Werke des Aristoteles allerdings auf Grund einer lateinischen Version -, Pierre Bersuire Teile der römischen Geschichte des Livius), und Männer wie Jean de Montreuil, Gonthier Col, Nicolas de Clamenges können schon, in ihrem eifrigen Studium des Cicero und Quintilian, des Terenz und Vergil, als die ersten Vorläufer des französischen Humanismus angesehen werden 1).

Freilich bescheiden genug sind diese ersten Anfänge der Renaissance, und rein praktischer Natur waren im Allgemeinen zunächst auch die Beweggründe, die jene Generation veranlaßten, ihre Aufmerksamkeit wieder der Antike zuzuwenden. Man wollte von den klassischen Autoren belehrt werden 2). Darum finden wir unter den Übersetzungen auch nur Prosawerke; für die Schönheiten antiker Poesie hatte man damals noch kein Verständnis. Und doch muß es hervorgehoben werden: die Ansätze zu einer Wiederbelebung der Antike

III,

1) cf. L. Petit de Julleville: Histoire de la Langue et de la Litt. fr. 6 f.

2) vor allem in Politik, Moral und Strategie: vgl. Gaston Paris, La Poésie du Moyen Age, Deuxième série. Paris 1895. p. 187.

waren vorhanden, und wäre ihnen nur eine ruhige, ungestörte Entwicklung beschieden gewesen, so hätte vielleicht schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die französische Renaissance zur vollen Entfaltung kommen können. Aber die Stürme äußerer und innerer Kriege, die fast die ganze erste Hälfte dieses 15. Jahrhunderts ausfüllten, zerstörten auch jene Keime einer neuen Kulturepoche oder verhinderten doch wenigstens ihre Weiterbildung. L'humanisme rétrograda vers l'Italie, sa patrie, où la France devait, quatre-vingt ans plus tard, l'aller chercher de nouveau'). Verheißungsvoll deuteten jene ersten Spuren eines neuerwachten Interesses für das klassische Altertum in die Zukunft, fast konnte es scheinen, als sollte mit dem 15. Jahrhundert für Frankreich das saeculum anbrechen, in dem das „iuvat vivere!" von den Lippen begeisterter Humanisten erklingen würde, So aber bietet das literarische Frankreich im 15. Jahrhundert einen ganz anderen Anblick dar. Schon längst hatten die beiden Hauptgattungen der mittelalterlichen Poesie, das nationale Heldenepos und der Arturroman, der allegorischen Dichtung das Feld geräumt. Der Roman de la Rose, beendet gegen 1275, hatte die Herrschaft angetreten, eine Herrschaft, die länger als zwei Jahrhunderte dauern und die eine Bedeutung erlangen sollte, wie wir sie nur bei wenigen Werken der Weltliteratur finden können. Gaston Paris begründet diesen ungeheuren Einfluß des Rosenromans mit den folgenden Worten: Ce succès sans précédent, qui n'a pâli que devant la renaissance grecque et latine, est dû surtout à Jean de Meun qui à transformé l'esquisse aimable et galante de Guillaume en un vaste tableau, sans ordre et sans beauté, mais où toutes les idées, tous les sentiments, toutes les connaissances, tous les doutes et toutes les aspirations de son temps ont trouvé leur expression3).

Gewiß finden sich unter den „connaissances" auch viele

1) L. Petit de Julleville, a. a. O. III 7.

2) a. a. O. S. 195 f.

Entlehnungen aus griechischen und römischen Autoren und ,,fast 100 Jahre vor Boccaccio vermochte Jean de Meun schon für vielerlei von dem Mythologisch-Historischen, das des italienischen Dichters gelehrte lateinische Werke (Genealogia deorum etc.) den Lateinkundigen zugänglich machten, bei seinen Landsleuten Interesse in der Muttersprache zu wecken"1). Aber dieses Wissen fließt noch nicht aus einer Kenntnis der Quellen selbst, vielmehr ist das meiste davon dem „Speculum" des Vincenz entlehnt. Und dann war auch zu der Zeit, als der Rosenroman erschien, das Interesse für die antike Literatur, und im besonderen für antike Mythologie und Sage, durchaus noch nicht allgemein, daß man etwa hätte erwarten können, die alten mythologischen Elemente würden schon von dieser Dichtung aus ihren Einzug in die französische Literatur halten. Der Haupteinfluß des Rosenromans auf die folgenden literarischen Erscheinungen erstreckte sich nach einer anderen Seite hin. „Die stoffliche Wirkung des Rosenromans auf das gebildete Publikum war größer als auf die Schriftsteller, die er mehr nach der formalen Seite hin beeinflußte, sofern er die allegorische Darstellung für alles zur herrschenden Form machte und zur Personifizierung und Zergliederung des Begrifflichen und Gefühlsmäßigen den eigentlichen Anstoß gab"). Also in der Beeinflussung der Form zeigte sich vor allem die literarische Herrschaft des Rosenromans.

...

Wie verhielt sich nun das 15. Jahrhundert zu dieser Dichtung? Der Versuch, durch Übersetzungen antike Stoffe der heimischen Literatur zugänglich zu machen, war infolge der Ungunst der äußeren Verhältnisse zunächst ohne weitere Nachahmung geblieben. Um so ungestörter konnte sich die Herrschaft des Rosenromans behaupten. Moralisierende Gedichte mit all' dem zierlichen Beiwerk von Allegorien und Visionen bilden daher auch die Haupterzeugnisse der fran

1) Gröber, Grundriss der roman. Philol. II 1, S. 740.

) Gröber, a. a. O. S. 742.

zösischen Dichtung dieser Periode. Der Inhalt wird immer bedeutungsloser, packende Stoffe fehlen ganz: man befindet sich eben in einer Epoche der Nachahmung, und es ist das Verhängnis solcher Epochen, den Mangel an Ursprünglichkeit, das Fehlen neuer Motive ausgleichen oder doch wenigstens verdecken zu wollen durch eine besonders kunstvolle Ausgestaltung der Form. So ist der Kultus der Form auch das charakteristische Merkmal des 15. Jahrhunderts in der französischen Dichtung und die Losung, die auf der Fahne der herrschenden Schule dieser Periode, der „burgundischen,“ geschrieben steht. Deutlich genug offenbart sich dies auch in der Bezeichnung „rhetorische Schule", mit der man die Mitglieder der burgundischen Schule und ihre Anhänger an anderen französischen Höfen zusammenzufassen pflegt. Für sie alle von Georges Chastelain bis Jean Marot, steht der Redner über dem Dichter, hat die Form den Vorrang vor dem Inhalt. Vor allem kommt hier die Verwendung von Allegorien und Visionen in Betracht. Die abstraktesten Begriffe werden personifiziert und redend und handelnd eingeführt. Auf andere Mittel und Kunstgriffe der poetischen Darstellung, deren sich die Dichter jener Zeit bedienten, soll hier nicht näher eingegangen werden. Dagegen ist das weitere Schicksal der Allegorie für unser Thema von ganz besonderem Interesse. Denn hier haben wir eins der Gebiete auf denen in der französischen Literatur die ersten Begegnungen zwischen mittelalterlichen und antiken Dichtungselementen stattfinden.

Auf der Suche nach neuem Schmuck für ihre poetischen Erzeugnisse hatten die späteren Dichter der rhetorischen Schule in der griechisch-römischen Götterwelt eine reiche Fundgrube entdeckt. Aber ohne Verständnis für den tieferen Sinn der antiken Götterlehre behandeln sie diese alten mythologischen Gestalten fast als gleichwertig mit ihren mittelalterlichen Allegorien, und wir erleben das seltsame Schauspiel, daß bisweilen die schönsten, zartesten und duftigsten Gebilde antiker Phantasie Seite an Seite erscheinen mit wesen

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