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so geschieht dies zweifellos aus dem Grund, daß die Gelehrten selbst unter sich über die Vergangenheit nicht einig waren, und weil sie eine zusammenhängende Geschichte geben wollten, was ohne die Benützung Geoffreys damals noch nicht möglich war.

Zum Schluß noch ein paar Worte über die Tradition in Schottland. Wir wissen, daß neben dem Kritiker Buchanan der traditionsfreundliche Boethius steht.240 Sein Werk, das ja ins Schottische und ins Französische übersetzt worden ist, hat bis ins 18. Jahrhundert Leser und Anhänger gefunden.241 Schon aus Opportunitätsgründen haben die Schotten ihre Sagen nicht so rasch preisgegeben; im günstigen Falle argumentierten sie sogar mit britischen Traditionen. So hat John Leslie, ein Parteigänger der Maria Stuart, in seinem Werk, in dem er von der Herrschaft der Frauen spricht, nicht nur an die schottische Scota, sondern auch an die britische Cordelia, die Tochter König Leirs und an die Gesetzgeberin Martia erinnert.242 Wenn die Sage sich in Schottland länger behauptet hat als in England, so verdankt sie dies dem Düster des Landes, in das die Geister der Alten nicht vorzudringen wagten.

240 Er ist selbstverständlich nicht der einzige Vertreter der Tradition.

241 Vgl. C. H. E. L. vol. 3, pag. 156.

242 Vgl. De illustrium foeminarum in repub. administranda, ac ferendis legibus authoritate, Libellus. Rheniis Excudebat Joannes Fognaeus, sub Leone, 1580, pag. 15: Et ut ad nosmetipsos veniamus. nonne etiam Scotis foemina nomen dedit? . . . Legimus enim in Anglorum annalibus, Reginam Cordellam heredem et filiam Regis Leyre decimi, patrem a duabus ipsius sororibus regno iniuria expulsum, honorifice restituisse.

IV. Die poetische Literatur im Zeitalter der Tudors und Jakobs I.

1. Einleitung.

Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts verloren die alten, lieben Gründungssagen immer mehr von ihrer unbestrittenen Geltung. Die Neuerer sprachen ja harte Worte, und die weckten bei den einen Beifall, bei den andern Zorn und Entrüstung. Der Gelehrte durfte in seinen Werken nicht mehr Brutus als den Gründer des britischen Staates feiern, Arthur als vorbildlichen Ritter verherrlichen. Um so bedeutsamer war es, daß die Dichter ihrem nationalen Stolz und ihrem völkischen Sinnen und Trachten dadurch Worte und Ausdruck verliehen, daß sie von den alten britischen Helden erzählten, der einstigen Reichsherrlichkeit sangen. Die englische Renaissance ist gekennzeichnet durch einen stark nationalen Zug. Die kommt in der Literatur, besonders soweit sie sich an Adel und Königtum wendet, zum Ausdruck. Im Zeitalter der Tudors, die auf ihre walisische Abstammung stolz waren, und die den Kampf gegen Rom und Spanien durchfochten, lag es für einen Dichter sehr nahe, vom Glanz und Ruhm Altbritanniens zu berichten. Dies ist denn auch geschehen, im Drama sowohl wie im Epos. Den Hofdichtern waren die Traditionen besonders willkommen zur Verherrlichung des Fürsten. Wer denkt nicht an die Feenkönigin Spensers? Königin Elisabeth ist allerdings nicht nur als Nachkommin der britischen Könige gepriesen worden; andern Modeströmungen entsprechend wurde sie zumeist mit Gestalten aus der griechischen Mythologie verglichen. Man nannte

sie gerne eine Nymphe, oder Schäferkönigin Elisa.243 Utenhovius feierte sie als die Göttliche, die Astrea, die weiser sei als Minerva, erhabener als Juno, schöner als Venus. Andere Poeten redeten sie als Diana, die keusche oder als Cynthia an.244 Etwas anders steht es mit Jakob I. Mit seiner Thronbesteigung war ja die längst gewünschte Union Tatsache geworden. Bei der Krönung wurde eine Münze ausgeteilt, auf der Jakob stolz als Cäsar Augustus bezeichnet wurde.245 Die Dichter und nicht nur diese bejubelten das Ereignis und konnten sich nicht genug tun in der Verherrlichung des einen Britannien, dessen einzige Grenze die See war. Sie erinnerten an den Einheitsstaat, wie er zur Zeit des Brutus bestanden habe. John Savile begrüßte Jakob bei seinem Einzug in London als den Monarchen, der England außer seiner geheiligten Majestät ein Königreich schenke, das seit des Brutus Tagen nicht mehr mit ihm verbunden gewesen sei245, und während die mittelalterlichen Schriftsteller, zum Teil unter dem Einfluß der Sagen, berichteten, alles Übel komme aus dem Norden, so wendeten sie diese beinahe zum Sprichwort gewordene Ansicht

243 Vgl. Spensers Schäferkalender, 4. Ekloge, Draytons Song to Beta, Peele's Arrangement of Paris.

244 Vgl. C. Müller: Zur Geschichte der Hirtenspiele in den Entertainments der Königin Elisabeth und König Jakobs I. (1573 bis 1623), Germanisch-Romanische Monatsschrift, vol. 2, 1910, pag. 456 ff.

245 Vgl. John Pinkerton: The medallic history of England, London 1790; plate 12.

246 Vgl. E. Arber: An English garner, vol. 5, pag. 636: Besides, your sacred Self, doth bring with you / A kingdom, never knit to these till now, As Camden's Britain tells, since Brutus' days, vgl. auch Owen Epigrammatum, ed. postrema, Amstelodami 1644, pag. 50.

und schrieben: Omne bonum nobis ex Aquilone venit,247 Sie deuteten auch die Prophezeiung, die behauptete, nach Elisabeths Tod werde Unglück über das Land kommen, in der Weise um, daß sie sagten, der Name England sei allerdings untergegangen, aber nur um einem bessern Britannien 'Platz zu machen.248

Die Sagen waren nicht bloß geeignet, Elisabeth als den Stolz des Landes zu feiern, Jakob als den Nachkommen des ersten Fergus und des Brutus zu begrüßen 249, sie gingen ja das ganze Land an, gehörten der Nation. Wenn die Dichter Themen aus der britischen Geschichte aufgriffen, so taten sie dies oft in der Empfindung, daß das Volk auf die Vergangenheit stolz sein durfte und sein sollte. Und es war es auch. Als Söhne des Landes, das einst Brutus beherrschte, redete Humfrey Gifford die Soldaten an 250, als Troja nova, oder als Tochter des Brutus sprachen die Dichter London mit Vorliebe an 251, die Gelehrten an den Universitäten, er

247 Loc. cit.

248 Vgl. Arber: English reprints: A harmony of the essays of Francis Bacon: Of prophecies, pag. 536: The triviall Prophecie, which I heard, when I was a Childe, and Queene Elizabeth was in the Flower of her Yeares, was: When Hempe is sponne: England's done. Whereby, it was generally conceived, that after the Princes had Reigned, which had the Principiall Letters, of that Worde Hempe (which were Elizabeth) England should come to be to God is verified only in the the Kings Stile, is now no more of England, but of Britain.

249 Vgl. Britanniae triumphans

Henry, Edward, Mary, Philip, utter confusion: Which, thankes Change of the Name: For that

Londini 1607, pag. 3 ff;

G. Owen Harry (D. N. B.): The Genealogy of the high and mighty
Monarch James
King of Great Brittayne, with his lineall

descent from Noah by divers direct lynes to Brutus. . .

250 Vgl. The book of Elizabethan verse; ed. Will. Braithwaite, London 1908: Humfrey Gifford: For soldiers: Ye buds of Brutus' land, courageous youths, now play your parts.

251 Vgl. beispielsweise Thomas Dekker: The seven deadly sinnes

zählten, wenn sie fürstlichen Besuch bekamen, vom britischen Ursprung ihrer Schule, und die Bürger ließen bei festlichen Gelegenheiten den Gründer ihrer Stadt hoch zu Roß durch die Straßen reiten.252 Die Anspielungen auf die Sagen in den Entertainments sowohl 253 als in den Dramen, in Liedern sowohl als in Traktaten sind so zahlreich, daß wir annehmen müssen, daß Adel und Bürgertum mit der Tradition vollkommen vertraut waren,254 In der Literatur, zu deren Betrachtung wir nun übergehen, kann man geradezu von einer,,britischen Modeströmung", zum mindesten von einem,,britischen Drama" sprechen.

Während im Mittelalter unter dem literarischen Einfluß Geoffreys die verschiedenen Sagen meist im Zusammenhang erzählt und sogar selbständig entstandene Werke wie die Havelok- und die Albinasage gern in den chronikalischen Rahmen eingespannt wurden eine Ausnahme macht die Hengistsage im Boronschen Merlin

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of London (The Huth Library. The non-dramatic works of Thomas Dekker. Ed. Alex. B. Grosart, vol. 2, pag. 75). What Gallenist or Paracelsian in the world, by all his water-casting, and minerall extractions, would iudge, that this fairest-facde daughter of Brute, (and good daughter to King Lud, who gave her her name) should have so much corruption in her body?

252 Vgl. Brotanek: Die englischen Maskenspiele (Wiener Beiträge zur englischen Philologie 15, pag. 58): Beim Empfang der Königin zu Norwich 1578 erschien der angebliche Gründer der Stadt, König Gurgunt oder Gurrunt, hoch zu Roß, und begrüßte die Fürstin in wohlgesetzten Versen: King Gurrunt I am hight, King Belin's eldest sonne, / Whose sire Dunwallo first, the British' crowne did weare.

253 Vgl. Part of King James's Entertainment in Passing to his Coronation, The works of Ben Jonson, ed. Will. Gifford, vol. 3, pag. 560.

254 Vgl. Conrad Schulze: Die Satiren Halls, Palaestra 106,

pag. 109.

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