Page images
PDF
EPUB

II. Die Renaissance-Sage von König Albion.

Die englische Renaissance hat ganz allgemein die Sage von Albina abgelehnt, Dichter sowohl als Gelehrte wollten von diesem dummen Machwerk, diesem Zeugnis der Unwissenheit früherer Jahrhunderte nichts hören, das wirklich unwürdig sei, am Anfang der englischen Geschichte zu stehen. Wir haben allerdings schon im Kapitel über die Albinasage gehört, daß noch in der Chronik, die unter Caxtons Namen bekannt ist, die alte Fassung der Sage bewahrt blieb; wir haben jedoch eine Übersetzung vor uns. Wir wissen auch, daß schon Waurin einzelne Tatsachen der Sage zu erklären oder wenigstens verständlich zu machen suchte; aber auch so blieb des Unwahrscheinlichen noch mehr als genug. Nun ist ja eines von vorneherein zu erwarten, daß nämlich die Renaissance erkannt hat, daß es sich um den Mythus von den Danaiden handelte. Wir wissen, daß dies schon im Mittelalter bis zu einem gewissen Grade geschehen ist; die Renaissance erfaßte die Sache jedoch viel schärfer.

Die Albinafabel verschwand nicht vollständig aus der Literatur; von Waurin und Caxton abgesehen, scheint eine gewisse,,Modernisierung" stattgefunden zu haben.

Harding, z. B.141, erzählt zuerst die alte Fabel von König Dioclesian of Surray und seinen 30 Töchtern, dann aber erklärt er, die Sache sei nicht wahr, damals habe es in Surray keinen König gegeben; der erste König sei

[merged small][ocr errors][merged small]

the continuation by Richard Grafton, ed. Henry Ellis, London 1812), pag. 25 ff.

Saul gewesen.142 In einer Note gibt er dann nach einem Hughe de Genesis, einem römischen Geschichtsschreiber, den wir nicht eruieren konnten, die Fabel in ungefähr der Form, in der wir sie in der Chronik des Matthäus kennen gelernt haben als Interpolation. Die Töchter des Danays, des Königs von Griechenland, töten ihre Gatten, die Söhne ihres Onkels Egistus, des Herrschers von Ägypten; sie werden verbannt und gelangen nach einer Insel, die Albina als die älteste nach sich Albion nennt,143

Woher Harding 144 den Bericht hat, ist uns unbekannt; zumal wir den Hugh nicht kennen; auch einen Chronisten Maryan nennt er, der nicht bekannt ist. Der Bericht stimmt aber, wie bemerkt, zu der erwähnten Interpolation.

Eine andere Version der Danaidenfabel gibt Holinshed. 145 In seiner Urgeschichte erklärt er, warum die Insel den Namen Albion trägt und wieso Riesen auf ihr lebten; wir werden davon noch hören. Mit den bis

142 But I dare saye this chronicle is not trewe; / For in that ylke tyme, in Surraye was no kyng, / Ne afterwarde, to tyme that Saul grewe: / Ne no kyng was in Surray ever lyvyng, / That had that name; for Saule was ye first king / Of Surray realme, at the ende of the thyrde age, / In Samuels tyme, the prophete wyse and sage.

143 Loc. cit., Note, that Hughe de Genesis, a Romayne historiographier, declareth in his chronicle all the kyngdomes of the worlde, and all the names of such kynges as ruled in theim, from Noes floude unto the byrthe of Christ. In which chronicle the foresayed Hughe writeth, that Danays, kyng of y Grekes, had 1. doughters, and that Egistus his brother, kyng of Egypte, had as many sonnes, that maryed together, which doughters kylled theyr owne husbandes, and for that cause were banyshed: and saylyng on the sea, were dryven unto a certain ysle, which Albina, beyng the eldest suster of theim, named, accordyng to her name, Albio., . . 144 Der auch die Etymologie 'Albion ab albis rupibus' kennt. 145 Holinshed's Chronicles of England, Scotland, and Ireland, 6 vol., London 1807, vol. 1, pag. 434 ff.

jetzt bekannten Erklärungen hat dies nichts zu tun. Die Riesen lebten auf Albion, bevor die griechischen Frauen die Gestade der Insel betraten. Gewiß, meint Holinshed, Frauen sind nach der Insel gekommen; aber es waren nicht die Töchter des Dioclesian; die Chronisten, die das erzählen, haben das Wort Dioclesian als die richtige Form für Danaus angesehen. Diesen Fehler sollten gelehrte Leute nicht machen, zumal schon andere Gelehrte wissen, daß es sich um die Töchter des Königs Danaus handelt. Er erwähnt nun den von Harding zitierten Hugh 146, dann John Rouse of Warwick, der sich auf einen britischen Geschichtsschreiber David Pencair stützen soll. Schon Nennius, behauptet Holinshed, mache eine Bemerkung über die Ankunft solcher Frauen.

Nun erzählt er die Geschichte von Danaus und seinem Bruder und berichtet schließlich, wie die Töchter des erstern die Söhne des letztern, ihre Gatten töten, wie nur Hypermnestra ihren Gemahl, den Lynceus, schont, weil sie ihn liebt. Sie heißt ihn fliehen, und er entkommt. Der Vater läßt Hypermnestra ins Gefängnis werfen, während er sich bemüht, die andern Töchter wieder zu verheiraten. Als Lynceus sicher ist, zündet er ein Feuer an, um seiner Gattin der Verabredung gemäß ein Zeichen zu geben. Der Ort heißt dann Lyncea. Als er später zur Herrschaft gelangt, läßt er die Töchter des Danaus, soweit sie sich noch in den Grenzen des Reiches aufhalten, holen; weil sie aber die Schwestern seiner Gattin sind, will er sie nicht töten lassen, sondern verbannt sie. Sie werden auf ein Schiff ohne Steuermann und Matrosen gebracht und aufs Meer hinaus ge

146 Er nennt ihn Hugh the Italian.

stoßen. Sie werden nach Albion getrieben, wo sie Nahrung finden und auch das wilde Urgeschlecht antreffen, das wegen seiner tierischen Lebensart als Teufel bezeichnet wurde. Er habe, sagt er, nicht von der ältesten Schwester gesprochen, von der das Land den Namen haben sollte, aber es sei gewiß, daß keine Albine geheißen habe.147 Der Name stammt also nicht von den Frauen, über deren Ankunft jeder denken könne, was er wolle, da eine absolute Sicherheit nicht zu erlangen sei.

Man sieht, wie die Albinafabel durch die Forschung immer mehr zurückgedrängt wird. Zuerst erkennt man in den Frauen die Töchter des Danaus, dann erkennt man deutlich, daß keine Albina heißt, daß der Name 'Albion nicht von ihnen stammen kann. Der nächste Schritt ist der, die Ankunft der Schwestern überhaupt zu negieren.

Wir haben gehört, daß der Italiener Vergil sich mit der Erklärung, der Name Albion stamme von den weißen Felsen, der schon lange vor ihm so erklärt wurde, begnügt hat. Die Humanisten der Renaissancezeit haben, wie schon bemerkt, von der Albinafabel nichts wissen wollen. Sie haben eine neue Deutung von Albion versucht, und zwar ist die Lösung, die der Italiener gegeben, nicht die einzige.

Thomas Cooper hat, wie wir schon erfahren, in seinem Thesaurus Linguae Romanae et Britannicae, Londini 1584 mit Verachtung die Fabel von den 50 Dioclesianstöchtern

147 436: To this we answer, that as the name of their father hath bene mistaken, so likewise hath the whole course of the historie in this behalfe. .. yet certeine it is that none of them bare the name of Albina.

und die Erzeugung ihrer Nachkommenschaft durch Teufel als unwürdig und unmöglich abgelehnt und behauptet, das Wort Albion sei eine Entstellung des griechischen Olbion. Am Schlusse seiner Ausführungen erwähnt er, daß Pomponius Mela von einem Riesen Albion erzähle, den Herkules erschlagen habe, der als der erste Namengeber betrachtet werden könnte.148

Nun erzählt Mela in seiner Geographie im Abschnitt über Gallien, wo er von der Gegend am Golf du Lion handelt: Herkules soll hier gegen Alebion und Dercynon, die Söhne Neptuns, gefochten und, als ihm die Pfeile ausgingen, Jupiter angerufen haben und von diesem durch einen Steinregen unterstützt worden sein. Zu dem Glauben, es hätte Steine geregnet, kann man wohl kommen, so zahlreich liegen sie weit und breit. 149

Herkules spielt im südwestlichen Europa eine große Rolle. Er soll ja Alesia gebaut haben. Die schöne Tochter des Fürsten von Keltike liebte ihn und empfing von ihm einen Sohn, den er dann Galates nannte. Dieser wurde ein gewaltiger Eroberer und nannte seine Untertanen Galatai und sein Land Galatia. In dieser Legende, die aus Diodor stammt, hat man schon ein Symbol für die Berührung der Kelten mit den Griechen erblicken wollen.150 Eine andere Legende will, Herakles sei durch

148 Pag. 4: Notwithstanding Pomponius Mela maketh Mention of a Gyaunt called Albion, whom Hercules slue in Gallia, which was sonne of Neptunus, who mought with more reason be deemed the first giver of this name to this Isle.

149 Dieses Steinfeld, das heute noch zu sehen sein soll (vgl. die Ausgabe und Übersetzung Melas durch H. Philipp, Voigtländer Quellenbücher, 1, pag. 88), ist wohl die Ursache der Lokalisation der Sage.

150 Vgl. Guest, Origines Celt. 2, 3.

« PreviousContinue »