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Kapitel aufgenommen, in dem er, hauptsächlich `im Anschluß an die Schrift von Nicholas Adams für Edward VI., noch einmal alles zusammenstellt, was gegen die Freiheit Schottlands vorgebracht werden konnte. Da wird zum Beispiel von den sattsam bekannten Ausführungen über Brutus dürfen wir absehen ganz deutlich ausgesprochen, daß Locrin nach der Besiegung des Humber ganz Schottland mit seinem Reich vereinigt habe, ohne seinem Bruder Kamber einen Teil des Landes abzutreten, oder ihm irgendeinen Titel zuzugestehen. Kamber habe auch gar keine Ansprüche gemacht.76 Holinshed läßt dann die ganze Reihe der britischen Fürsten, die über Schottland geherrscht haben, Revue passieren. War damit bewiesen, daß sich die Schotten zu fügen hätten, hatte Holinshed nicht selbst behauptet, die Schotten seien erst kurze Zeit vor Christi Geburt nach Britannien gekommen? Erzählten nicht auch Nennius und Beda, daß die Skoten viel später als die Briten nach der Insel gekommen wären? Holinshed, oder besser sein Gewährsmann, weiß sich zu helfen. Zur Zeit des britischen Königs Coel I., so berichtet er, ist ein unbekanntes Volk, das die meisten als Skythen betrachten, über die See von Irland hergekommen und hat sich in Albanien niedergelassen. König Coel hat ein Heer gesammelt und ist gegen sie ausgezogen, um sie zu vertreiben. Einer der Fremden, namens Fergus, hat sich aber nachts in das Zelt des britischen Königs geschlichen und ihn verräterischerweise ermordet." Ho-

76 Vol. 1, pag. 196 ff.

77 Vol. 1, pag. 198: In his time an obscure nation (by most writers supposed Scithians) passed by seas from Ireland, and arrived in that part of Britaine called Albania: Against whome this Coell assembled his power, and being entred Albania to expell

linshed (oder richtiger Adams) hat zwei Fliegen auf einen Schlag getötet. Er zeigt, daß die Schotten gar kein Recht haben, in England zu wohnen, daß sie durch frechen Einbruch und Mord in den Besitz des Nordens gelangt sind, dann aber macht er, indem er die Traditionen von der Überfahrt des Fergus annimmt, diesen Fürsten zum Mörder Coels; Fergus, den die Schotten so hoch verehrten! Holinshed hat seine Quelle richtig verstanden; was irgendwie gegen die Schotten vorzubringen ist, bringt er vor. In der Fortsetzung seiner Darstellung führt er aus, die Schotten seien, nachdem sie sich im Norden niedergelassen hätten, unter der Herrschaft der britischen Könige gestanden, auch sie, und nicht nur die Briten seien von Cäsar besiegt worden; ihre Politik sei immer für England verhängnisvoll gewesen; schon zur Zeit der Kämpfe zwischen Briten und Sachsen hätten sie jene unheilvolle franzosenfreundliche Politik getrieben, die in der Folgezeit so oft zu Zwietracht und Kampf geführt habe (aus Adams). Interessant ist, daß die Verfasser von politischen Traktaten und Streitschriften im 16. Jahrhundert im Gegensatz zu ihren Vorläufern empfunden haben, daß mit dem Bericht von Locrins Herrschaft über Albanien noch nicht viel gewonnen war, daß damit die Herrschaftsrechte Englands über Schottland noch nicht bewiesen waren. Sie alle wußten, daß nach Beda die Schotten zur Zeit Locrins noch nicht in Albanien sein konnten. Also konnte man, wenigstens für die Frühzeit, nicht von schottischen Untertanen reden. Wie war die Schwierigkeit aus dem Wege zu schaffen? Harryson hat, wie oben angedeutet worden ist, sich them, one Fergus in the night disguised entered the tent of this Coell, and in his bed traitorouslie slue him.

so geholfen, daß er die Schotten als Briten ausgab Bei Holinshed ist das Problem anders gelöst. Gewiß, zur Zeit Locrins sind glücklicherweise noch keine Schotten in Britannien ansässig, aber das ganze Land, und zwar einschließlich Albaniens, untersteht der Gewalt des britischen Fürsten, ist sein Eigentum. Wenn nun die Schotten später im Norden eindringen und den König, der sich ihnen entgegenstellt und um seinen Besitz kämpft, töten, können sie dann verlangen, daß man sie, die ungerechten und rechtslosen Räuber, als ein freies und unabhängiges Volk anerkenne und dulde? Wenn man die Verhältnisse der frühesten Zeit genauer darzulegen suchte, so geschah es wohl vor allem deshalb, weil man die ältesten Britenkönige als Kronzeugen retten und sichern wollte. An sich wären sie für die Entscheidung der Frage, ob die Schotten sich zu unterwerfen hätten oder nicht, nicht nötig gewesen, es ließen sich ja noch eine ganze Reihe von spätern Herrschern anführen, die „Könige" oder „,Oberlehnsherren" von Schottland gewesen waren.

Die Engländer und deren Parteigänger sind nun genügend zu Worte gekommen; nun mögen sich die Schotten äußern. Was konnten sie gegen die Ausführungen ihrer Gegner einwenden? Eigentlich ziemlich viel. Die Engländer wären keine Briten, und wenn die englischen Herrscher sich als Nachfolger der Briten betrachteten, so sei damit noch nichts gegen sie bewiesen; dieselben Schriftsteller, die von Locrin rühmten, behaupteten selbst, damals seien weder Pikten noch Skoten auf der Insel gewesen, was ja auch aus den Darstellungen von Beda und Nennius geschlossen werden müsse. Auf Beda konnten sie auch hinweisen, um die Behauptung zu wider

Matter, Englische Gründungssagen von Geoffrey of Monmouth. 32

legen, sie hätten sich wie Diebe und Räuber im Norden. eingeschlichen; nicht der geringste Anhaltspunkt wäre in der Kirchengeschichte dafür zu finden, im Gegenteil, Beda weise mit Selbstverständlichkeit den Briten den Süden, den Skoten den Norden an. Die Schoften konnten schließlich, wenigstens zu Ende Mittelalters, Geoffreys Autorität anzweifeln und den Wert der Tradition in Frage stellen. Jedenfalls standen denen, die nicht, wie Harryson, gewillt waren, nachzugeben, verschiedene Verteidigungsmittel zur Verfügung. Im folgenden, hauptsächlich im spätern Kapitel über die Kritik, werden wir hören, welche von ihnen verwertet und erfolgreich angewendet worden sind. Hier soll nur eine Frage genauer untersucht werden, nämlich die, ob die Schotten im Mittelalter eigene Sagen entwickelten, die sie später, wenn es nötig war, den ,,englischen" entgegenstellen konnten.

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c) Iro-schottische Gründungssagen.

Die Schotten besaßen, wie jede europäische Nation im Mittelalter, eine sagenhafte Vorgeschichte, die ursprünglich pseudogelehrten Spekulationen zu verdanken ist. Auch die Schotten wußten unter ihren Vorfahren mächtige Fürsten und große Helden, edle Gesetzgeber und kluge Städtegründer namhaft zu machen. Den Kern der Sagen bilden alte Genealogien. Schon aus dem 7./8. Jahrhundert sind Stämmbäume bekannt, die die Geschlechter irischer Fürsten bis auf Adam zurückverfolgten 78, und schon vor 800 waren Geschichten über

78 Vgl. Kuno Meyer: Über die älteste irische Dichtung, Abhandlungen d. pr. Ak. d. Wiss., phil. hist. Cl., Berlin 1913, Nr. 6.

die skythischen Ahnherren der Iren und Schotten im Umlauf. Über die Entstehung und Entwicklung dieser merkwürdigen Gebilde, deren Hauptversionen zwischen 1000 und 1200 niedergeschrieben wurden", sind wir heute durch die Arbeit A. G. van Hamels gut unterrichtet.80 Die Sagen sind rein gelehrte Produkte; aus geographischen Namen, Länder- und Stammesbezeichnungen sind eponyme Helden erschlossen worden; und mit Hilfe der mittelalterlichen etymologischen Kunst und der Andeutungen, die sich etwa bei Kirchenvätern fanden, hat man ihre ,,Geschichte" entwickelt.81 Um einen Begriff davon zu geben, wie man sich im Mittelalter die Vergangenheit des irischen und des schottischen Volkes vorgestellt, teilen wir mit, was Giraldus Cambrensis in seiner irischen Topographie über die Frühgeschichte geschrieben hat.82 Er beginnt die Besiedlungsgeschichte Irlands mit Caesara, der Enkelin Noahs. Alten irischen Geschichten zufolge beschloß Caesara, als sie von der bevorstehenden Sündflut hörte, mit ihren Leuten nach den entlegensten Inseln des Westens zu fliehen, nach einem Ort, der nie von eines Menschen Fuß betreten worden war. Sie hoffte, daß sie da, wo nie eine Sünde begangen worden sei, sicher sein werde. Alle Fahrzeuge, die in ihrer Begleitung in See gestochen waren, litten Schiffbruch; nur ein einziges, auf dem

79 Eine frühe lateinische Fassung liegt bei Nennius vor. 80 Vgl. A. G. van Hamel: On Lebor Gabála, Zeitschrift für keltische Philologie, Bd. 10, Halle 1914, pag. 97 ff.

81 Vgl. Hamel, op. cit. und Kuno Meyer: Der irische Totengott und die Toteninsel, Sitzungsberichte der Preuß. Ak., 1919, pag. 537 ff.

82 Vgl. Opera Giraldi, Cambrensis, vol. 5, ed. James F. Dimock, London 1867, Distinctio 3, cap. 1 ff.

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