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gleich. Auch seine Einteilung der einzelnen Bücher leuchtet nicht immer ein, er hätte sehr gut gewisse Höhepunkte herausarbeiten können. Es ist möglich, daß er sich durch seine Vorlage hat einschränken lassen. Am einheitlichsten erscheint das erste Buch. Es ist der Geschichte des Brutus gewidmet. Der Tod des Stammvaters wird allerdings erst am Anfang des zweiten erwähnt. Dieses schließt mit der Glanzzeit des Königs Dunwallo, das dritte bringt die Schilderungen der Regierungen der Brüder Belinus und Brennus, es endigt mit der Darstellung der Taten Luds. Das vierte Buch beschäftigt sich hauptsächlich mit der Auseinandersetzung der Briten mit den Römern. Diese Angaben genügen, um zu zeigen, daß die Einteilung der Kapitel nicht eine ganz willkürliche ist. Aber als Ganzes genommen, befriedigt sie nicht.

Trotz alledem bleibt die Historia des Geoffrey eine der merkwürdigsten Leistungen des Mittelalters und darf ruhig neben die größten literarischen Schöpfungen des 12. Jahrhunderts, wie etwa Saxos Dänengeschichte, gestellt werden.

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Zweiter Teil.

Reichsgründungssagen.

I. Einleitung.

In der Einleitung ist gesagt, daß nicht nur Reichs-, sondern auch Städtegründungen behandelt werden. Man wird ohne weiteres verstehen, daß wir die ersteren zusammennehmen, ihnen die letzteren folgen lassen und diesen die Sagen von der Gründung der beiden alten Universitäten und des Klosters Glastonbury anschließen. Das hat seine Konsequenzen, es müssen so Sagen auseinandergerissen werden, die sich im gleichen Werke finden, ja die vielleicht in einem gewissen Zusammenhang stehen. Die Geschichte von Brutus und Havelok erscheint im ersten, die Gründungen der Städte London und Grimsby im zweiten Teil.

Unter Reichsgründungssagen verstehen wir solche, die erzählen, wie die verschiedenen Rassen oder Völker in den Besitz der Insel gelangt sind, wie sie den englischen Boden erworben oder erobert haben. Die Einteilung macht nun einige Schwierigkeit, da sich ja nicht alle Sagen bei Geoffrey finden und wir uns nicht auf die Historia beschränken. Diese bietet nur die Geschichte von der Eroberung Albions durch die Briten und Britanniens durch die Angelsachsen. Wie soll man aber die Sagen einreihen, deren Entstehung durch sie veranlaßt worden ist, wohin gehören die, die unabhängig von ihr in die Literatur eingetreten sind?

Man könnte die Sagen gruppieren nach der Reihenfolge der historischen Ereignisse, dann käme die Albinasage, die von den Ureinwohnern handelt, und die jünger ist als die Brutussage, an den Anfang. Wir haben deshalb ein anderes Prinzip gewählt und lassen sie in der Reihenfolge ihres literarischen Auftretens erscheinen. Wir beginnen mit Geoffrey. Zuerst kommt die Brutussage, dann die Hengistsage, hierauf die Dänensagen, wie wir sie aus Gaimar kennen, die Sage von Inge (Angela, Angria), die Albinasage und als letzte die Sage vom Riesen Albion, die in der englischen Renaissance eine Rolle spielt.

Nun ein Wort über die Behandlung der einzelnen Sagen. Es handelt sich für uns nicht darum, möglichst viele Stellen anzuführen, jeden kleinen Unterschied zu nennen. Wir hätten sonst Dutzende von Berichten parallel abdrucken müssen; und, ganz abgesehen von der Unübersichtlichkeit und dem ewigen Einerlei, eine Untersuchung der Abweichungen würde nicht viel eintragen, sie hat nur dann einen Wert, wenn man die Abhängigkeit eines Werkes von einem andern prüfen will. Wir werden den Leser auf sehr gewissenhafte Zusammenstellungen, die über einzelne Sagen gemacht worden sind, aufmerksam machen. Wenn man eine ganze Gruppe von Sagen ins Auge faßt und zu einfachen Resultaten gelangen will, kann man nicht wohl im oben angedeuteten Sinne vorgehen. Wir werden uns bei der Brutussage, zum Beispiel, nicht einmal mit den verschiedenen Angaben über die Zeit der Ankunft der Trojaner befassen. Wir geben von einer Sage zuerst den Inhalt, unter

1 Vgl. für diese Art der Behandlung: E. Bode: Die Learsage vor Shakespeare, Studien zur englischen Philologie 17.

suchen sodann, wenn dies möglich ist, ihre Entstehung und Verbreitung, um hierauf die künstlerischen Bearbeitungen hervorzuheben. Wenn sich verschiedene Versionen finden, werden sie selbstverständlich berücksichtigt, im übrigen müssen viele Angaben in speziellen Kapiteln, etwa unter ,,Sage und Politik" oder unter ,,Kritik" erwähnt werden.

Da im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Völker von der Insel Besitz ergriffen haben, es also zu erwarten ist, daß viele Gründungs- und Eroberungssagen ausgebildet worden sind, ist unser Thema ein sehr dankbares. Es ist interessant zu untersuchen, wer die Sagen aufgebracht hat, wie sich die verschiedenen Völker dazu stellen, ob sie sie annehmen, zurückweisen oder umwandeln. Wir hüten uns aber, zu viel aus den Sagen zu schließen. Wenn behauptet wird, die Kelten seien gute Soldaten, aber schlechte Bürger gewesen, damit stehe im Zusammenhang, daß sie nur Staaten zerstört, nicht aber auch Staaten gegründet hätten, wenn behauptet wird, die Normannen seien die hervorragendsten Staatengründer gewesen, man solle an ihre Reiche in Rußland, Sizilien, der Normandie und England denken, so werden wir diese Behauptungen nicht anfechten, obgleich wir von der Brutussage, von der Britenherrschaft in Albion erzählen und obgleich die Normannen, die allerdings großes Interesse an Geoffrey genommen, keine eigenen Gründungssagen entwickelt haben, wir zum Beispiel keine eigentliche Sage über die normännische Eroberung besitzen. Die Brutussage ist, zum Teil wenigstens, das Produkt mittelalterlicher Gelehrsamkeit. Da kann man nicht wohl sagen, ein ganzes Volk sei ihr Schöpfer gewesen und etwa Geoffrey als bloßen Exponenten völ

kischen Fühlens und Empfindens betrachten, wenn es auch richtig ist, daß die Historia den Zeitgenossen das erzählte, was sie gerne hören wollten. Bei den Dänensagen werden wir dann allerdings die obigen Bemerkungen berücksichtigen müssen. Verallgemeinerungen aber führen zu leeren Spekulationen. Wir heutigen Menschen kennen die verschiedenen Glieder eines Volkskörpers viel zu genau, als daß wir leichthin ein Werk als Ausdruck eines Volksganzen ansprächen. Es ist allerdings zu bedenken, daß die Sagen, mögen sie nun gelehrte Produkte sein oder nicht, das Recht der Völker auf den Besitz der Insel zum Ausdruck bringen, und wenn es sich um solche Dinge handelt, pflegen, oder richtiger gesagt, pflegten die Glieder einer Nation derselben Meinung zu sein. Jedenfalls ist Vorsicht am Platz, gerade weil die Auffassung, der Dichter sei der Vertreter seiner Zeit, zu reizvollen Ausführungen lockt. andere Idee, die sehr verlockend ist, wäre, zu untersuchen, ob die neutrale Geschichte Britanniens, wie sie im Anschluß an Geoffreys Werk geschrieben wurde, die beiden großen Völker, die den englischen Boden besiedelten, durch das gemeinsame Gefühl des Patriotismus einander näher gebracht hat. Wir werden Äuße

Eine

2 W. J. Courthope: A history of English poetry, vol. 1, pag. 2: The poet is, in a sense, the epitome of the imaginative life of his age and nation; and, indeed, it may be said that in what may be called his raw materials his thought, imagination, and sentiment his countrymen co-operate in his work; though the form in which these materials are presented, an all-important contribution, is the creation of the poet alone.

3 Courthope, op. cit. vol. 1, pag. 143: Thus in the neutral history of,,Britain", the two great races occupying the English soil began, through their poets and chroniclers, to be drawn towards each other by a common sentiment of patriotism.

Matter, Englische Gründungssagen von Geoffrey of Monmouth.

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