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das Nötige über diese Werke mitgeteilt hat, brauchen wir hier nicht von ihnen zu sprechen; sie bieten zudem nichts Neues, und wenn Joseph etwa als mirakelnder Heiliger auftritt, so ist dies ein Beweis für die lokale Berühmtheit des Gralshüters, hat aber mit unserer Sage als solcher nichts zu tun.

Hat man die Gründungssage im Mittelalter wirklich geglaubt? Man darf diese Frage stellen trotz der Leichtgläubigkeit der Chronisten und trotz der geringen Mittel, die dem Kritiker zur Widerlegung ähnlicher Werke zu Gebote standen, zumal wenn man bedenkt, daß sich ältere Zeugnisse anführen ließen, die der Sage widersprachen. Die Frage muß bejaht werden. Im Mittelalter hat man ja den Wert, den ältere Quellen jüngern gegenüber besitzen, sozusagen nicht gekannt; sodann konnten die Interpolationen nicht als solche erkannt werden und galten deshalb als Äußerungen Wilhelms von Malmesbury, und dieser Chronist war ein unverdächtiger Zeuge. Wenn Chronisten, denen die Sage bekannt sein konnte, einen andern Gründer als Joseph nannten, so ist damit keineswegs gesagt, daß sie in der Lage gewesen wären, zu beweisen, daß der berühmte Lokalheilige nicht der Gründer war. Dann ist weiter zu beachten, daß die Gründungssage dem Nationalstolz der Engländer schmeichelte, und ein Werk, das dem Ruhmesempfinden eines Volkes entgegenkommt, darf immer auf Sympathie hoffen. Uns ist nur ein Chronist bekannt, der es gewagt hat, einen leisen Zweifel über die Wahrheit der Gründungssage zu äußern; typischerweise ist es ein Gelehrter aus Canterbury. Thomas Elmham erzählt in seiner Chronik, wohl auf Grund der Angabe Wilhelms von Malmesbury in den gesta pontificum oder der ersten Rezensionen

der gesta regum, König Ine habe Glastonbury auf den Rat des heiligen Aldhelm gebaut. Die Mönche von Glastonbury behaupteten jedoch, der Brite Arviragus sei der Gründer gewesen; er überlasse den Beweis für die Wahrheit dieser Behauptung den Leuten, die in den Chroniken Angaben über Klostergründungen vor der Zeit des Königs Lucius zu finden vermöchten.280 Aus Elmhalms spricht die Eifersucht; er vergönnt dem fremden Kloster die ehrwürdigen Traditionen, von denen er wohl mündlich gehört hatte; da ihm kein anderes Mittel zur Befriedigung seiner Mißgunst zur Verfügung stand als der Zweifel an der Überlieferung, wies er darauf hin, daß erst unter Lucius das Christentum in England Eingang gefunden habe. Auch die Dichter und Gelehrten der spätern Jahrhunderte glaubten noch an Joseph als einen britischen Missionar. Spenser hat ihn unter die Helden der britischen Vergangenheit aufgenommen, Holinshed 281 weist auf das Grab und das Epitaph des Heiligen hin als Zeugen von Josephs Aufenthalt in Glastonbury; sogar ein Gelehrter wie der Italiener Polydor Virgil schenkte der Sage Glauben.

Noch Henry Spelman 282 hat sich durch falsche Quel

280 Diese Äußerung läßt vermuten, daß er die interpolierte Schrift De antiquitate nicht gekannt hat. Vgl. Historia monasterii S. Augustini Cantuariensis by Thomas Elmham, ed. by Charles Hardwick, London 1858, pag. 265: Monachi tamen Glastonienses aliam praetendunt fundationem a rege Arvirago, filio Kymbelini. . . . Ac etiam postea ab Arthuro rege idem monasterium asserunt pluribus possessionibus affuisse dotatum. Hujus ego fundationis primariae, cum sequenti dotatione, certitudinem explanadam illis relinquo, qui in Britannia ante regis Lucci tempora monasteria aliqua in Chronicis poterunt reperire fundata.

281 Chronicles, vol. 1, pag. 40.

282 Vgl. Concilia, decreta, leges, constitutiones in re ecclesiarum

lenzitate täuschen lassen und in seiner Darstellung der Anfänge des Christentums in Britannien die Sendung Josephs erwähnt. Die gelehrten Forschungen der großen Antiquare des 17. und 18. Jahrhunderts, sowie die fortgeschrittene Quellenkritik ermöglichten es dann Jeremy Collier, die Geschichte von Joseph von Arimathia als eines Missionars zwar nicht im Einzelnen zu widerlegen, aber doch als unhistorisch zurückzuweisen, er wagte sogar die Geschichtlichkeit des König Lucius anzuzweifeln.283

Fassen wir zusammen: Die Sage, die von Joseph von Arimathia als dem Gründer der ältesten Kirche in Glastonbury und in Britannien überhaupt erzählt, ist zurückzuführen auf die Interpolationen in Wilhelms von Malmesbury Schrift De antiquitate ecclesiae Glastoniensis. Da sie erst seit dem 14. Jahrhundert populär geworden, ist ihre literarische Verbreitung, etwa im Vergleich zur Brutussage, eine mäßige. Letztere ist bedingt durch die Verbindung mit der Arthur- und der Gralssage. Eine künstlerische Bearbeitung der Sage existiert u. W. nicht.284

orbis Britannici. Opera et scrutinio Henrici Spelman, Londini 1639-64, 2 vol.

! 283 Vgl. An Ecclesiastical History of Great Britain London 1708-14, vol. 1, pag. 12.

2 vol.,

284 Joseph kam für uns nur als Gründer von Glastonbury in Betracht und nicht als Hüter des Grals In dieser letztern Eigenschaft ist er eine der beliebtesten mittelalterlichen Gestalten gewesen. Er soll den Gral nicht nur nach Britannien, sondern auch nach Norwegen gebracht haben. (Vgl. Sone von Nausay, hg. v. Moritz Goldschmidt, Bibliothek des literarischen Vereins 216, Tü bingen 1899.) Unsere Ausführungen bilden nur einen Teil der Arbeit, die noch geschrieben werden müßte: Joseph von Arimathia und seine Bedeutung in der mittelalterlichen Literatur.

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Vierter Teil.

Sage und Politik.

I. Einleitung.

In diesem Kapitel wird dargestellt, wie die Sagen, die im Anschluß an Geoffreys Historia regum Britanniae entwickelt worden sind, zur politischen Agitation und zur Begründung gewisser Rechtsansprüche verwendet, wie und auf welche Weise sie infolge von gewissen politischen Verhältnissen umgedeutet und interpretiert worden sind. Die Historia war ja eine Fundgrube für Hofjuristen und Hofhistoriographen, die die Eroberungstendenzen ihrer Herren, der englischen Könige, legitimieren. und als berechtigt hinstellen wollten. Erzählte sie nicht, daß Brutus, der edle Nachkomme des Aeneas, Herr über ganz England gewesen, daß er den Aquitanier Goffar besiegt, daß die alten britischen Fürsten Gallien erobert und über die Besiedlung Irlands verfügt hatten? Mit diesen Angaben, die, wie noch zu zeigen sein wird, das ganze Mittelalter hindurch geglaubt wurden, ließ sich in der Tat etwas anfangen. Konnte man aus ihnen nicht folgern, daß der englische König berechtigte Ansprüche machen durfte auf den Titel eines Kaisers, auf die Herrschaft über Schottland und Irland, ja sogar über einen Teil Frankreichs? Man wird vielleicht fragen, was hat denn die alte britische Geschichte mit der Politik der Normannen und Angiovinen zu tun? Zwischen den verschiedenen Völkern bestand doch nicht der geringste

Zusammenhang. Gewiß, und doch haben die Gelehrten die Historia zu Rate gezogen, wenn es galt, Vorteile der englischen Herrscher wahrzunehmen. Die spätern englischen Fürsten betrachteten sich als Rechtsnachfolger der alten britischen Könige; auf den völkischen Zusammenhang, den übrigens spekulationsfreudige Genealogen herzustellen suchten, kam es garnicht an. Dann darf man nicht vergessen, daß die mittelalterlichen Engländer ein stark ausgeprägtes geographisches Vaterlandsgefühl besaßen. Wenn die Normannen und die Angiovinen die Historia freudig aufnahmen, liegt der Grund nicht bloß in der Darstellung des idealen Ritters und Königs, Arthurs, die Historia wurde als patriotisches Werk aufgefaßt, das sich die Verherrlichung des ,,Vaterlandes“ zum Ziel setzte.

1

Nicht alle Möglichkeiten, die Geoffrey etwa einem imperialistischen Theoretiker zur Entwicklung von Rechtsansprüchen bot, sind ausgenützt worden. Die Historia wurde nur benützt, wenn es sich darum handelte, bereits zutage getretene Tendenzen als erlaubt, gefaßte Pläne als durchaus mit rechtlichen Begriffen vereinbar darzustellen, zu zeigen, daß eroberte Länder nicht in die Hand eines Fremden gefallen, sondern unter die Herrschaft des einzig berechtigten Erben zurückgekehrt seien. Die Tat, der Wille zur Tat war das Primäre, die Argumentierung das Sekundäre; der Gelehrte diente dem Krieger und nicht der Krieger dem Gelehrten.

Aus der Tatsache, daß die Anglonormannen und ihre Nachfolger sich für die Taten der alten Briten begeisterten, daß sie deren Geschichte als ein Stück ihrer

1 Vgl. Diss., Brandenburg, allgemein.

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