Page images
PDF
EPUB

der Name Stonehenge bis in die neueste Zeit als Stonhengest, der Stein des Hengist erklärt wird.274 Eine volkstümliche Chronik erzählt sogar, Hengist habe befohlen, daß man die Hauptstadt des Landes, die erst Newe Troye, dann Ludderburch hieß, Hingisttoun nenne.275

England-Hengistland ist nicht die einzige Etymologie, die das Mittelalter kannte. Mit der Angabe des Beda, mit dem bloßen geographischen Namen Angulus, der die Heimat der Angeln bezeichnete, haben sich nicht alle Schriftsteller begnügt. Viele Dichter und Chronisten machten sich über die Bedeutung des Wortes England ihre eigenen Gedanken. Wir werden noch hören, wie man von einer Fürstin Angela sprach, von einer maiden Inge, einem Herzog Engle; eine Version des Roman de Brut des normannischen Dichters Wace 276 bringt den Namen Englands und der Engländer nicht mit Hengist in Beziehung, sondern erzählt, die Briten hätten ihre Gegner Engländer genannt, weil die letzteren auf der Insel Thanet in die Enge getrieben wurden.277 Und ein Historiker des 15. Jahrhunderts kommt sogar auf die

274 Vgl. Sternberg: Über eine versificirte mittelenglische Chronik, Engl. Studien 18, pag. 374: In þe west cuntre erbaut Hengist on þe pleyn of Salesbirye a merueile: Hingiston; Proceedings of the philological society 6, London 1854, pag. 31, E. Guest: On the Etymology of the word Stonehenge. Stonehenge in the more ancient authorities, is often called Stonehenges, and a monkish writer of the fifteenth century, Simon of Abingdon, in one place writes the word Stonhengest. Mr. Herbert would have us consider Stonehenge and Stonehenges as corruptions of Stone hengest; and maintains that this latter word signifies the stone of Hengest.

275 Sternberg, loc. cit.

276 Ed. Le Roux de Lincy, vol. 1, pag. 338.

277 La furent Saison en anglé (in angula) / Por ce furent Englois clamé; / Issi les Bretons les clamèrent / Quant en Tanet les enanglèrent.

reizende Idee, Uther Pendragon, der Vater Arthurs, habe das Land seiner Gattin Ingerne zuliebe, die aus dem edlen Geschlecht des Corineus stammte, England genannt.278

Die Hengistsage hat sich einer ungemeinen Beliebtheit erfreut, und wenn etwa ein Chronist von Rowena als der falschen heidnischen Schlange spricht 279, so vermögen wir noch heute zu fühlen, wie lebendig ihm der Inhalt der Sage ist, wie er sie mit seinen eigenen Empfindungen beseelt. Die Falschheit Vortegirns wurde sprichwörtlich 280, und die Verräterei der Sachsen bot den Chronisten des Spätmittelalters willkommene Gelegenheit, Parallelen zu ihrer eigenen Zeit zu ziehen.281

Die Hengistsage ist die wichtigste Sage über die

sächsische Eroberung; sie hat, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Veränderungen erlitten. Dies ist sehr auffällig, da die Sachsen doch sehr schlecht wegkommen; man sollte erwarten, daß diese sie zum mindesten umgestalteten. Wenn der sachsenfeindliche Charakter der

278 Vgl. James Gairdner: Three fifteenth-century chronicles, Publications of the Camden society, 2nd S. vol. 28, pag. 10 ff. Nachdem der Chronist von Hengist und Vortegirn erzählt hat, kommt er auf die folgenden britischen Könige zu sprechen und berichtet von der Heirat Uthers mit Ingerne, that was the Erlys wife of Cornewayle, and she come of the lynage of Cornebyus of Troye; and at that tyme was a grete abbicion for the londis name. Some did call hit Brettayne, and some called hit Engelonde; and for the love that Uther had to his wyfe, and for the gentill blode that she came of, he named thia londe after hir name Ingerne Englond. 279 Vgl. Eulogium, vol. 2, pag. 279 callida vipera Pagana. 280 Vgl. James Gairdner, op. cit., pag. 95: Pole that was as fals as Fortager.

281 Vgl. Waurin (15. Jahrhundert), nachdem er vom Sachsenverrat gesprochen hat, fährt er fort and we ourselves daily see the treachery of the Anglois, who are descended from the Saxons R. H. Fletcher: The Arthurian Material

[ocr errors]

., pag. 228.

Sage gewahrt blieb, so ist zu bedenken, daß ein unverdächtiger Zeuge wie Beda die Sachsen ursprünlich als vertragsbrüchige Heiden darstellte. An dieser Tatsache war für die Historiker nicht zu deuten; das einzige, was ein sächsischer Gelehrter etwa tun konnte, war, an der übertriebenen Verherrlichung der britischen Fürsten Kritik zu üben. Nur einer hat dies gewagt und hat Worte auf sein Pergament gemalt, die von großem Scharfsinn, aber auch von Haß und Leidenschaft zeugen: Wilhelm von Newsbury.282

Die Anglonormannen haben, wie schon bemerkt, die Historia mit Begeisterung aufgenommen, sie diente ja der Verherrlichung des Landes, dessen Besitzer sie waren. Sie hatten an einer Umgestaltung der Sage kein Interesse; wenn dieselbe die Sachsen, ihre Gegner, als listige Eroberer darstellte, die im Grunde keine Ansprüche auf die Insel hatten, so konnte ihnen das nur recht sein.283 Es ließe sich denken, daß der „,britischen" eine sächsische Eroberungssage gegenübergestellt wurde, deren Spuren nicht in den führenden Werken der Anglonormannen, wohl aber in der volkstümlichen Literatur zu finden wären. Die Sachsen scheinen jedoch keine eigene Sage ausgebildet zu haben; alle Äußerungen, denen wir begegnen, stehen in irgendeinem Zusammenhang mit der Historia.

Es ist wirklich auffällig, daß wir, wenn auch schließ lich keine sächsische Sage über die Eroberung, keine solche etwa über die Begründung der Reichseinheit

282 S. Kapitel Kritik.

283 Wir werden im Kapitel Sage und Politik genauer untersuchen, wie sich die verschiedenen Völker zu den Ausführungen der Historia gestellt haben.

durch König Egbert treffen. Man rühmt oft an den angelsächsischen Annalen das ausschließliche Interesse für das eigene Volk und den Gedanken der Staatseinheit. Warum finden wir keine Tradition über deren Schöpfer, die Schicksale König Egberts? Seine Flucht vor dem Tyrannen Bryhtric, sein Aufenthalt am Hofe Karls des Großen, die Rückkehr in die Heimat und der Kampf um die Oberherrschaft von Wessex prädestinierten ihn geradezu zum nationalen Helden. Es scheint nun allerdings eine solche Sage über einen Nationalhelden in Entwicklung gewesen zu sein, sie bezog sich jedoch nicht auf Egbert, sondern auf den König Edgar, der, vom ganzen Volke gewählt, auf der Versammlung von Chester, an der eine ganze Schar tributärer Fürsten anwesend war, die Einheitsidee zum Ausdruck brachte. Edgar wurde mit Romulus, Cyrus, Alexander, Arsaces und Carolus Magnus verglichen. Allem Anschein nach wurde aber die angelsächsische Altertumssage mit Edgar als ihrem Haupthelden von der Historia Geoffreys verdrängt.284 Wir gehen nun zur Betrachtung der Tradition über und verwenden dasselbe Einteilungsprinzip wie bei der Brutussage. Von einer Zusammenstellung möglichst vieler Werke können wir um so mehr absehen, als R. H. Fletcher unsere Sage in seine Arbeit über das Arthurmaterial in den Chroniken Großbritanniens und Frankreichs einbezogen hat.285

284 Vgl. Brandenburg, Diss., pag. 48.

285 Robert Huntington Fletcher: The Arthurian Material in the Chronicles of Great Britain and France; Studies and Notes in philology and literature vol. 10, Boston 1906 Als Materialsammlung sehr wertvoll.

A. Lateinische Werke.

Die Gelehrten, die vor dem Erscheinen der Historia regum Britanniae sich über die britische Geschichte äußern wollten, pflegten zur Historia Britonum des Nennius zu greifen, die ihnen als gesta Britonum oder unter dem Namen des Gildas geläufig war. Sie versuchten ihre Angaben, denen sie mit mehr oder weniger Mißtrauen gegenüberstanden 286, mit denen der Kirchengeschichte des Beda und der angelsächsischen Annalen in Einklang zu bringen.

Wir erwähnen von allen Berichten, die vor Geoffrey geschrieben worden sind, nur die zwei interessantesten, den Wilhelms von Malmesbury und den Heinrichs von Huntingdon.

Malmesbury erzählt in seiner Geschichte der englischen Könige 287 die angelsächsische Eroberung hauptsächlich im Anschluß an Beda und Nennius. Der schlimme Vortigernus, der seine eigene Tochter geschändet hat, beschließt mit seinen Großen, Angeln und Sachsen aus Deutschland zu Hilfe zu rufen gegen Pikten und Skoten. In Deutschland, das seinen Namen vom Überfluß an Menschen hat 288, herrscht die Sitte, daß von Zeit zu Zeit das Los geworfen wird, und daß die davon Betroffenen auswandern müssen.289 Indem der Chronist

[ocr errors]

286 Vgl. den Angelsachsen Ethelward, Brandenburg, Diss., pag. 5. 287 Willelmi Malmesbiriensis Monachi De gestis regum Anglorum, ed. W. Stubbs, vol. 1, § 4 ff.

288 Quia tantum hominum germinat, non injuria Germania vocatur.

289 Diese Loswerfen erwähnt ja später die Historia Geoffreys; man nimmt gewöhnlich an, sie habe das Motiv aus Malmesbury entlehnt. Wir wissen, daß schon Paulus Diaconus diesen Usus kennt. Es lassen sich allerdings noch andere Übereinstimmungen Matter, Englische Gründungssagen von Geoffrey of Monmouth.

14

« PreviousContinue »