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Kampfs, dem ersten und dem dritten, zukommen, d. h. die von der alten Kunst stets für erlaubt gehaltene Prolepsis in Anwendung zu bringen, und ganz eben so verhält es sich mit der Composition, mit welcher Pheidias den Westgiebel des Parthenon geschmückt hatte. Auch dieser grosse Meister konnte die Einheit der Zeit in zwei verschiedenen Weisen vollkommen wahren; allein in beiden Fällen nur zum grössten Nachtheil seiner Composition.

Er konnte ebenso, wie er wirklich gethan hat, den Moment vorführen, in welchem die beiden Gottheiten den Lanzen-Stoss und den Dreizack-Schlag eben erst ausführen, aber noch nicht vollendet haben, und im Einklang hiermit sowohl den Ölbaum als auch das Pferd ganz weglassen. Dann würde er allerdings die Einheit der Zeit vollkommen gewahrt, aber auch den Beschauer jeder Möglichkeit beraubt haben, zu erkennen, was jener Lanzen- und dieser Dreizack-Stoss zu bedeuten haben.

Ausserdem jedoch stand es ihm auch frei, den Moment zu bilden, in welchem die beiden Gottheiten den Stoss der Lanze und des Dreizacks eben ganz zu Ende geführt haben, so dass die Spitzen beider Waffen den Erdboden bereits berühren. Dann konnte er, ohne die Einheit der Zeit zu verletzen, durch Hinzufügung des Ölbaums und des Pferds die Bedeutung dieses Lanzenund Dreizack-Stosses vollkommen verständlich machen. Allein selbst der kläglichste Steinmetz weiss, dass, um der Darstellung einer mit einer kräftigen Körperbewegung verbundenen Handlung Leben, Kraft und Wahrheit zu geben, stets Alles darauf ankommt, dass der Künstler auf keinen Fall den Moment der voll

ständigen Beendigung dieser Körperbewegung, sondern im Gegentheil einen der axun derselben möglichst nahe liegenden Moment zur Darstellung wählt. Darum sehen wir unter Anderem auch in dem bei weitem grössten Theil der zahllosen uns erhaltenen Kampf-Scenen die Waffen der Kämpfenden die Körper der angegriffenen Gegner noch nicht berühren, und wo dies doch der Fall ist, haben die besseren Künstler in den mannigfachsten anderen Weisen dafür Sorge zu tragen gewusst, dass bei dem Beschauer doch der Eindruck einer völlig abgeschlossenen Bewegung wenigstens nicht zu überwiegender Geltung gelangt.

Für Pheidias aber lag hierin ein mehr als ausreichender Grund, weshalb er auch von diesem Ausweg, die Einheit der Zeit zu wahren, keinen Gebrauch machen konnte, sondern es vorzog, die von der alten Kunst stets als zulässig betrachtete Prolepsis in Anwendung zu bringen, indem er zwei Momente, welche um eine oder zwei Secunden auseinander liegen, in Eins zusammenzog.

(Tiré du Bulletin, T. XXII, pag. 402–409.)

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Bemerkungen zu Georg Curtius,,Das Verbum der Griechischen Sprache seinem Bau nach dargestellt", Zweiter Band (Leipzig 1876). Von A. Nauck.

Aus einer Lectüre des zweiten Bandes, mit welchem das Verbum der Griechischen Sprache von G. Curtius abgeschlossen vorliegt, hat sich mir ein Spicilegium von Bemerkungen ergeben, das ich hier mitzutheilen nicht für überflüssig erachte. Bevor ich jedoch dieser Aufgabe mich zuwende, kann ich nicht umhin einiges vorauszuschicken über Curtius' Verhalten zu meinen auf den ersten Band bezüglichen Erörterungen (Bulletin XX p. 481-520 oder Mélanges Gréco-Rom. IV p. 1—57).

Die überaus fruchtbare literarische Thätigkeit von G. Curtius verfolgte von jeher vorzugsweise den Zweck die von der Sprachvergleichung gewonnenen Resultate auf die Behandlung der Griechischen Grammatik anzuwenden. Manche Sprachvergleicher wussten längst dass er in den dieses Ziel verfolgenden Arbeiten nicht sowohl eigene als fremde Forschungen verwerthete und dass er zu wenig Sanskrit verstand um überhaupt den Namen eines Sprachvergleichers bean

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spruchen zu können; aber sie meinten, er sei ein Meister in seiner Specialität, der Griechischen Sprache. Die so genannten classischen Philologen konnten sich zwar nicht verhehlen dass Curtius sein mässiges Wissen im Griechischen viel mehr aus lexikalischen und grammatischen Schriften der Neuzeit als aus umfassendem Studium der alten Autoren geschöpft hatte: aber dessen ungeachtet nahmen sie gern Notiz von den durch Curtius ihnen zugeführten Belehrungen, ohne nach den intellectuellen Urhebern der neuen Resultate zu fragen. So galt Curtius den Philologen als Sprachvergleicher xat oxy, den Sprachvergleichern als hervorragender Hellenist: er selbst mochte glauben Sprachvergleicher zu sein und Hellenist. Die Reputation des Hellenisten Curtius wurde stark erschüttert durch meine Bemerkungen über den ersten Band des Griechischen Verbum. Diese Bemerkungen riefen eine Erwiderung hervor (Studien VIII p. 316—334), deren Zweck kein andrer war als dieser, die Leser der Studien über den Inhalt meiner Bemerkungen zu täuschen, meine Kritik darzustellen nicht nur als eine einseitige, was sie factisch war und ausgesprochener Maassen sein sollte, sondern zugleich als eine ungerechte, voreilige, auf unwesentliche Kleinigkeiten gerichtete, die Aufgabe des Curtiusschen Werkes nicht begreifende. Auf Verlangen kann ich mehrere Fachgenossen namhaft machen, bei denen Curtius diesen Zweck erreicht hat, freilich nur so lange sie lediglich die Erwiderung; nicht aber meine Bemerkungen gelesen hatten.

Im ersten Bande des Griechischen Verbum tritt Curtius, als wäre ihm die eigene Grösse zu Kopf ge

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