Page images
PDF
EPUB

dene Schwierigkeiten in den Weg zu legen suchen, dadurch ihre Stellung in den Augen der unparteiischen Nachwelt nicht eben verbessern werden. In dieser Weise aufgewirbelter Staub pflegt keine dauerhafte Deckung zu gewähren. Bisher hat noch immer schliesslich die Wahrheit den Sieg davon getragen.

(Tiré du Bulletin, T. XXII, pag. 107-122.)

12 Octobre 1876.

24

Parerga archaeologica. Von Ludolf Stephani.

XXX.

Vor Kurzem gelangte ein kleiner Aufsatz Brunn's: «Die Petersburger Poseidonvase»'), welcher meine Wiederherstellung der ehemals im Westgiebel des Parthenon vorhandenen Sculpturen 2) zu widerlegen sucht, in meine Hände. Es wird sich wohl Niemand wundern, wenn ich ein Verfahren von der in diesem Aufsatz vorliegenden Art durchaus nicht für geeignet halten kann, irgend Etwas zur Lösung dieser oder einer anderen Frage beizutragen. Zur Begründung dieser Ansicht wird es daher genügen, wenn ich ein paar der besonders charakteristischen Stellen hervorhebe.

Den ersten Platz unter denselben nimmt ohne Zweifel die gewiss von Niemandem erwartete Belehrung 3)

1) Sitz.-Ber. der phil.-hist. Classe der k. Akad. der Wiss. zu München 1876. Th. I. p. 477-490.

2) Compte-rendu de la comm. arch. pour l'ann. 1872. p. 5-142. 221-224. 1873. p. 242-244. Bull. de l'Acad. des sc. To. XXII. p. 107-122. Mél. gréco-rom. To. IV. p. 237-260.

3) Sitz.-Ber. der hist.-phil. Classe der k. Akad. der Wiss. zu München 1876. Th. I. p. 483.

[blocks in formation]

ein, dass die Athena des von mir veröffentlichten berühmten Vasengemäldes der Kaiserlichen Ermitage1), obgleich sie nicht nur ihren ganzen Körper bereits energisch nach der rechten Seite hin bewegt, sondern auch die rechte Hand mit der gegen den Erdboden hin gerichteten Lanze schon so hoch als möglich empor gehoben hat, doch durchaus nicht die Absicht hat, ihre Waffe nach dem Erdboden hin zu stossen, sondern diese nur für die Dauer eines Augenblicks naturgemässe und daher jede Möglichkeit eines noch irgendwie unentschiedenen Abwartens völlig ausschliessende Haltung gerade nur zu dem Zweck angenommen hat, um über die peinliche Frage, was sie eigentlich thun solle, noch weiter nachzudenken, und daher nur vorläufig «ihre Lanze zur Vertheidigung erhebt, sofern «es einer solchen bedürfen sollte, aber noch ungewiss «über den Punkt, auf den sie die Spitze derselben zu «richten hat». Ja, dies wird behauptet, obgleich, um von der Athena des Parthenon-Giebels selbst und von dem Zeugnisse Ovid's zu schweigen, sogar schon die von mir nachgewiesene grosse Zahl vollkommen entsprechender Darstellungen der Athena Γιγαντολέτειρα 5) über die allgemeine Bedeutung des Motivs für einen noch einigermaassen gesunden Sinn auch nicht die entfernteste Ungewissheit übrig lassen kann, und obgleich ich auch den besonderen Umstand hinreichend aufgeklärt habe, welcher den Vasenmaler gegen seinen Willen nöthigte, die Richtung der Lanzenspitze, wenn er sie auch im Wesentlichen fest hielt, doch von dem

4) Compte-rendu de la comm. arch. pour l'ann. 1872. Pl. 1.
5) Compte-rendu dé la comm. arch. pour l'ann. 1872. p. 86.

genauen Zielpuncte ein wenig abzulenken). Dies wird behauptet, obgleich Brunn von dem in der Hauptsache ganz entsprechenden Dreizackstoss des in demselben Gemälde auftretenden Poseidon selbst einräumt, dass er «gegen den Erdboden» gerichtet sei, und mithin auch Athena gar keinen Grund hat, einen bevorstehenden Angriff und eine Nothwendigkeit der Vertheidigung zu befürchten.

Unmittelbar hieran aber schliesst sich die gewiss nicht weniger werthvolle Bemerkung, dass dieser Poseidon in dem dargestellten Moment eben «vom Ufer«rande aus das Land betritt», allein trotzdem schon «unmiltelbar vorher gegen das Meer zugewendet war», also sich doch nicht nur schon früher auf dem Land befand, sondern auch nach dem Meere hin eilte, so dass das ihn begleitende Pferd selbst noch in dem dargestellten Moment nach dieser Richtung hin galoppirt, während der Gott bereits wieder «landeinwärts stürmt», als ob er mit seinem Thier nur ein bekanntes Kinderspiel treiben wolle. Denn aus welchem anderen Grunde könnte er wohl zuerst, unmittelbar vor diesem «land«einwärts Stürmen», nach dem Meere hin gestürmt sein und erst dann «plötzlich sich wieder rückwärts «gewendet» haben? Aus welchem anderen Grunde könnte der Maler durch die der gegenwärtigen Richtung des Gottes gerade entgegengesetzte Richtung des Pferdes auch dieses frühere Stürmen nach dem Meere hin so nachdrücklich betont haben? Aus welchem anderen Grunde könnte überhaupt Poseidon ganz gegen seine sonstige Gewohnheit bei so aufopfernder

6) Compte-rendu de la comm. arch. pour l'ann. 1872. p. 128.

Anstrengung seiner eigenen Beine doch auch noch sein Pferd völlig nutzlos neben sich her gezogen haben?

Auch was Brunn an einer anderen Stelle') von dem iu demselben Gemälde als Richter gegenwärtigen Kekrops sagt: «Es ist indessen eine starke Zumuthung, «dass wir in jenem Manne Kekrops als Richter bei dem «Streite anerkennen sollen. Denn wo dreht der Richter «den Parteien, über die er urtheilen soll, den Rücken «zu und wendet nur das Gesicht nach ihnen um, wie «jemand, dessen Aufmerksamkeit nur durch einen «unerwarteten Zwischenfall nach rückwärts gelenkt «wird?» kann gewiss nur eine nicht weniger erheiternde Wirkung hervorbringen, besonders wenn man z. B. ein anderes Vasengemälde) vergleicht, in welchem die Muse Kalliope dem Streite zwischen Kore und Aphrodite als Richterin beiwohnt und ganz genau mit derselben Körper-Wendung dargestellt ist, wie der Kekrops unseres Gemäldes, oder ein drittes ), in welchem der Wettstreit des Apollon mit Marsyas dargestellt ist und von den als Richterinnen gegenwärtigen Musen nicht weniger als drei sich in jener den Rich tern in München so streng untersagten Stellung sehen lassen, während zwei andere der Haupt-Gruppe den Rücken gar vollständig zukehren.

Mit solchen Resultaten der von Brunn aus nur zu leicht verständlichem Grund zum Wahlspruch erkorenen «Erklärung der Kunstwerke aus sich selbst» können frei

7) Sitz.-Ber. der hist.-phil. Classe der k. Akad. der Wiss. zu München 1876. Th. I. p. 481.

8) Bull. Napol. Nuova Ser. To. VII. Tav. 9. Stephani: Ann. dell' Inst. arch. To. XXII. p. 315.

9) Archaeol. Zeit. 1869. Taf. 18.

« PreviousContinue »