Page images
PDF
EPUB

*

[blocks in formation]

Bemerkungen zu Georg Curtius,,Das Verbum der Griechischen Sprache seinem Bau nach dargestellt". Erster Band (Leipzig 1873). Von A. Nauck.

Seit vielen Jahren hat G. Curtius sich eifrig und nicht ohne Erfolg bemüht die Ergebnisse der Sprachvergleichung den so genannten classischen Philologen, d. h. denjenigen welche auf das Studium des Griechischen und Lateinischen oder auch wohl einer dieser beiden Sprachen sich beschränken, zugänglich zu machen: und wir haben Grund ihm dafür dankbar zu sein, sofern in vielen Fällen erst durch die Vergleichung stammverwandter Sprachen ein richtiges Urtheil über gewisse sprachliche Erscheinungen gewonnen werden. kann. Während der Verfasser früher (1846) die Bildung der Tempora und Modi im Griechischen und Lateinischen zum Gegenstand einer besonderen Darstellung gewählt hatte, beschränkt er sich im vorliegenden Werke auf die eine Sprache, der er von jeher vorzugsweise seine Studien zugewendet zu haben behauptet, und zwar will er bei dem Griechischen Verbum die einzelnen sprachlichen Erscheinungen in einer gewissen Vollständigkeit vorführen, ohne es als einen Nachtheil zu betrachten, wenn verschiedene Ab

[blocks in formation]

schnitte des Buches dadurch den Charakter blosser Sammlungen erhielten. Denn für die richtige Auffassung der Sprachformen ist es, wie Curtius S. IV bemerkt, von grösster Wichtigkeit zu wissen, in welchem Umfange und aus welchen Perioden der Sprachgeschichte sie überliefert sind. Die von verschiedener Seite aufgestellten Verzeichnisse der Griechischen Verbalformen füllten die Lücke nicht aus, wie der Verfasser sagt, «weil sie nach ganz andern Gesichtspunkten unternommen sind», ich möchte eher glauben, weil vor Veitch «Greek verbs irregular and defective» kaum ein nennenswerther Versuch gemacht worden ist die jetzt nachweisbaren Formen der Griechischen Verba mit einiger Vollständigkeit und unter Anführung der wichtigsten Autoritäten zu verzeichnen.

Uebrigens müssen wir dem nahe liegenden Irrthum begegnen, als sei das Buch von Curtius vorzugsweise demjenigen zu empfehlen, der über den Bestand der Griechischen Verbalformen Belehrung sucht: was der Verfasser in dieser Hinsicht bietet, ist zum bei weitem grössten Theile aus dem eben erwähnten Werke des Engländers W. Veitch entlehnt, einem Werke dessen neuste, in Oxford 1871 erschienene dritte Auflage') durch die Fülle des zusammengebrachten Materials vor allen ähnlichen Sammlungen sich höchst vortheilhaft auszeichnet. Leider hat Veitch, der eben nur die unregelmässigen und defectiven Verba behandeln

1) Curtius (Griech. Verbum I p. IV) kennt sogar eine vierte Auflage dieses Werkes, ohne indess uns zu verrathen, wann und wo dieselbe erschienen ist. Die im Jahre 1871 erschienene Auflage wird von dem Verfasser selbst als third edition bezeichnet, und ich habe Grund anzunehmen dass eine neuere Auflage bis jetzt nicht existirt.

[ocr errors]

wollte, gewisse Verba absichtlich in sein alphabetisches Verzeichniss nicht aufgenommen, obwohl im Griechischen ziemlich jedes Verbum seine besonderen Schicksale gehabt hat und jedes für sich beobachtet werden muss, damit man wisse, welche Formen zu welcher Zeit und in welcher Bedeutung im Gebrauch gewesen sind, somit eine Gränzlinie zwischen regelmässigen und unregelmässigen wie zwischen vollständigen und defectiven Verba sich kaum dürfte ziehen lassen und eine Ausdehnung des von Veitch gegebenen Registers auf sämmtliche Verba der Griechischen Sprache als ein dringendes Bedürfniss erscheint. Nur wo Curtius dieses seines Führers ermangelte, konnte er eine Unkenntniss an den Tag legen wie S. 303: «μocμúλλw, nur bei Lexikographen in Präsensformen, erklärt ovvάyev và xeλn Pollux II 90, Hes. s. v., mit púery verwandt». Curtius, der alles was bisher über das Vorkommen der mannichfaltigen Präsensbildungen vorlag, als äusserst unvollständig bezeichnet, hat also keine Ahnung davon dass man seit mehr als zwanzig Jahren den Inf. popuλλev bei Hipponax liest:

μηδὲ μοιμύλλειν Λεβεδίην ισχάδ ̓ ἐκ Καμανδωλοῦ. So nämlich, undè pouú, hat Meineke in seiner Sammlung der choliambischen Dichter hinter Lachmanns Babrius (Berlin 1845) p. 116 offenbar richtig hergestellt statt des bei Sextus Empiricus überlieferten μηδέ μοι μῦ λαλεῖν. Dass Curtius die Richtigkeit dieser Emendation in Zweifel ziehe, können wir nicht glauben: folglich müssen wir annehmen dass er seine «Sammlungen» nicht sowohl aus der Griechischen Literatur gezogen als vielmehr aus neueren Handbüchern entlehnt hat. Im vorliegenden Falle brauchte er übri

gens zu der von ihm citirten Stelle des Hesychius nur die Anmerkung von M. Schmidt zu vergleichen, um auf Hipponax gewiesen zu werden.

Freilich hat Curtius auch da wo das Cornu copiae von Veitch ihm zu Gebote stand, es verschmäht die Besonderheiten und Eigenthümlichkeiten der Griechischen Verba insoweit zu verzeichnen, dass man sagen könnte, unsere Kenntniss derjenigen Verbalformen, welche die Griechen in gewissen Jahrhunderten oder in gewissen Redegattungen gebraucht oder gemieden haben, werde durch sein Buch in irgend wie erheblicher Weise gefördert. Wie er Sprachvergleicher ist, so scheint es dass die Wurzeln und Stämme der Verba und die mehr oder weniger alten Bildungen welche aus diesen Wurzeln erwachsen sind oder erwachsen sein dürften, ihn bei weitem mehr interessiren als die Gesetze oder Launen des Sprachgenius, denen die einzelnen Verba im Laufe der Jahrhunderte aus denen wir schriftliche Denkmäler besitzen, unterworfen gewesen sind. Gerade das was über die Griechischen Verba am sichersten ermittelt werden kann und was gewusst zu werden vorzugsweise verdient, hat Curtius ohne die erforderliche Genauigkeit behandelt, und ich zweifle darum ob sein Buch denjenigen welche sich mit der Griechischen Sprache speciell beschäftigen, wesentliche Dienste zu leisten vermag. Wenn wir z. B. unter den Verba mit «verstecktem σxw» S. 281 lesen: «йpxoμai, von Homer an (N 256) gemeingriechisch. Vgl. Grundz.3 654», so ist die Andeutung dass das x in exopa aus ox entstanden sei, vielleicht wichtig für den Sprachvergleicher: jeder Hellenist durfte mit Fug und Recht erwarten, mindestens durch eine

« PreviousContinue »