Als bleibender Gewinn blieb jedoch auch dieser Dichtung der Sinn für das schmückende Beiwort, der durch die epitheta ornantia der klassischen Mythologie zweifellos geschult worden war. Grenzen ziehen auf dem Gebiete geistiger Entwicklung ist unmöglich; man sucht den annähernden Verlauf einer Scheidungslinie anzudeuten, gestützt auf kleine Symptome. Ein solches Symptom war uns die Behandlung der klassischen Mythologie. Die Stellung des Mittelalters dazu wurde berührt und die früheren Kompromissversuche. Die neue Beleuchtung, in die die Renaissancebewegung das Problem stellte, wurde gezeigt, ihre Deutungsversuche dargelegt. Die Wendung, die ein dem Mittelalter und der Renaissance entwachsender Geist wie Milton dem Mythologieproblem gab, wurde aufzurollen versucht. Als das für England Entscheidende ergab sich aus den in möglichster Vereinfachung dargestellten wirren Strömungen eine fortschreitende Entheidnisierung, die für spätere Zeiten durch das Gewahrwerden der zwei antagonistischen Kulturwelten die Möglichkeit ästhetischer Würdigung anbahnen sollte, für das 17. Jahrh. vorerst aber ein so entscheidendes In - die -Wagschale - werfen der christlichen Kultur bedeutete, dass eine breite, den Ideen der Antike verwandte, Literaturströmung ein für allemal unmöglich wurde. Zweites Kapitel. Die humanistische Kultur. I. Der englische Humanismus in seinen Beziehungen zu Reformation und Puritanismus. Das Studium des Themas Antike, Renaissance und Puritanismus leitet nachdrücklich auf den englischen Humanismus hin. Alle Tendenzen mussten im Wort der Humanisten Ausdruck finden, und die Differenzierung des englischen Humanismus innerhalb der Gesamtbewegung ist ungemein aufschlussreich. Die kirchlichen Unionsbestrebungen, dann der Fall Konstantinopels (1453) waren Anlass des westlichen Zugs der griechischen Gelehrten. Byzanz, das schon im 4./5. Jahrh. die längst verschollene irische Renaissance veranlasst hatte, wurde so zum zweiten Male Ausgangspunkt, diesmal aber nicht direkt, sondern zunächst wurde Italien der Brennpunkt der Bewegung, und es ist als das Mutterland des Humanismus für die nördlichen Länder anzusehen. Für die Entdeckerfreudigkeit einer neuen Lebensauffassung wurde die Neubelebung der Antike, die die östlichen Gelehrten mitbrachten, das Ventil, und damit wurde das Problem Antike-Christentum neu aufgerollt. An sich nämlich war die Antike das ganze Mittelalter hindurch lebendig geblieben, nur war das Verhältnis zu der Antike von der Kirche in feste Bahnen geleitet worden, die auf die Dauer nicht befriedigten. Das friedliche Nebeneinander antiker und christlicher Bildung im Mittelalter beruhte auf einem Kompromiss, durch den das Erziehungssystem der lateinischen Kirche die zwei Welten verbunden hatte. Ein Kampf zwischen heidnischer und christlicher Anschauung konnte nur den Charakter einer theologischen Streitfrage haben, und zieht sich als solche allerdings hin, von Tertullian bis Thomas von Aquino. Im Gegensatz zu der Schule des Origines, der das Studium griechischer Poesie empfahl, hatte sich die Kirche mehr oder weniger schroff auf den Tertullianschen und Arnobiusschen Standpunkt gestellt, der die antiken Schriftsteller als Heiden und falsche Propheten ablehnte und in der Bibel vollwertigen Ersatz dafür fand: Die Bücher der Könige für den Studierenden der Geschichte, die Propheten für den Weisheitssucher und den Lernbeflissenen der Beredsamkeit, die Psalmen für den Liebhaber der Poesie, die Genesis für den Philosophen und das Gesetz Gottes für alle politische Weisheit. Eine schroffe Stellungnahme gegenüber der Antike war aber auf die Dauer unhaltbar. Mochte immerhin noch später ein Alcuin seinem Kloster die Vergillektüre verbieten: Sufficiunt divini poetae vobis, nec egetis luxuriosa sermonis Virgilii vos pollui facundia (Alcuini Vita. Migne C/90), mag immerhin ein Gregor der Grosse den Erzbischof Desiderius von Wien, der aus pädagogischen Gründen das Studium antiker Autoren zu erwecken bestrebt war, tadeln: dieselbe Zunge könne nicht das Lob Christi und das Jupiters aussprechen, sowie die Kirche nicht mehr um ihre Existenz zu ringen hatte, sowie sie zur weltlichen Herrschaft gelangt war, vollzog sich eine gewisse Annäherung zwischen christlicher und hellenischer, speziell neuplatonischer Denkweise. Eine Diskreditierung der Antike ist natürlich, aber schon die lateinische Sprache der Geistlichkeit und die vom Staat übernommene öffentliche Erziehung (die z. B. in der „Grammatik" das Studium der besten heidnischen Autoren pflegte) liess eine mehr oder weniger enge Beziehung aufrecht erhalten. Aus dem heidnisch-christlichen Mischmasch, der noch in Alcuins 'Poema de pontificibus et sanctis ecclesiae eboracensis herrschte, und der ein Übergangsstadium darstellt, wurde das scholastische System des Thomas von Aquino (13. Jahrh.), der die Dogmatik des Christentums mit den Philosophemen der Griechen zu einer Art Religionsphilosophie verwob (Summa Theologiae). Ein enges Bündnis zwischen dem Wissen der Zeit und dem kirchlichen Dogma war durch das System geschaffen, das aber unhaltbar werden musste, als im 15. Jahrh. das bürgerliche Zeitalter das feudal-kirchliche abgelöst hatte.1) Bürgertum, Reformation, Humanismus sind alles 1) Humanistische Strömungen im weiteren Sinne, die es, wie gesagt, im ganzen Mittelalter gegeben hat, scheiden hier prinzipiell aus. Nur soweit eine solche Betätigung sich dartut als Teil der geistigen Revolution, die Human., Reform, und Renaiss, darstellen, könnte eine Einreihung erfolgen. Deshalb ist z. B. Johann v. Salisbury ausser acht gelassen (12. Jahrh.), da es sich bei ihm nicht um Nachbildung antiker Autoren als Programm neuer Anschauung und Gestaltung des Lebens handelt. (Vgl. auch Mullinger/Cambr. 1/56 f.) Zweige eines Dranges, der die seit Jahrhunderten mit dem Christentum versöhnten Autoren der heidnischen Welt neu las, losgelöst von der Einstellung der Scholastik, und der alles, was er an Zeugnissen einer vergangenen Zeit auftat, gleichviel ob es griechisch, römisch, jüdisch oder arabisch war, als Fund betrachtete, unbekümmert vorerst, ob es mit den Dogmen der Zeit übereinstimmte, und dem Gelehrsamkeit nicht mehr als Magd der Theologie galt, wie im Mittelalter, sondern als Richtschnur für das Leben. Trotzdem, daran kann nach den Forschungen Burdachs wohl kein Zweifel mehr sein, waren auch in Italien Renaissance und Reformation eine Einheit, und die Quellen liegen in religiöser Sehnsucht und patriotischem Wollen ,,in grenzenloser Erwartung der Seelen", wie sie sich erstmals nachhaltig ausdrückt in den Ideen des kalabrischen Propheten Joachim von Fiore und seiner Nachfolger in den Spiritualenkreisen der Franziskaner und Dominikaner (Burdach, Reformat., Renaiss., Humanismus 1918 S. 31), dann in Franz von Assisi, die alle in der Erneuerung der Religiosität des Individuums die Wiedergeburt des religiösen Lebens der Gemeinschaft erwarten. Dante, Cola di Rienzo sind dafür weitere Zeugen, besonders mit der nationalen Prägung, die der Gedanke bei ihnen annimmt. Damit fängt aber langsam eine Differenzierung der ursprünglich identischen Begriffe Renaissance und Reformation an (was sich in den nordischen Ländern durch stärkeren Nachhall der religiösreformatorischen Seite zunächst entschiedener gestalten sollte Wiclif, Huss, Luther, Zwingli, bis dann durch die von dieser Seite erfolgte Identifizierung von kirchlicher und weltlicher Gewalt [Luther, Kalvin, Puritaner] eine erneute Verschmelzung der Begriffe mit anderer Färbung zustande kam). Bei Petrarca und Boccaccio wird der Gedanke der Wiedergeburt langsam verweltlicht und es wurde die als nötig empfundene Aufgabe der platonischen Akademie zu Florenz (dem Zentrum der griechischen Studien in Italien), von neuem eine Aussöhnung zwischen Antike und Christentum zu suchen. Plato und die älteren Neoplatoniker, der Pseudo-Dionysius, Macrobius, Plotinus, Proclus und andere sollten die bindende Brücke bilden. Aber dieser neue Vereinigungsversuch vermochte nicht ein religiöses Bedürfnis zu befriedigen, wie es der Entwicklungsgang eines feinen Geistes wie Pico della Mirandola bezeugt; die Pracht dieser heidnisch-christlichen intellektuellen Kultur zerbricht vor der Wucht des religiösen Bekenntnisses Savonarolas. Aber das geistige Leben Italiens sollte andere Wege gehen, späteren Humanisten lag eine heidnisch-christliche Versöhnung nicht mehr am Herzen, lag die Antike näher als das Christentum. Damit ist das erste und bestimmendste Stadium des italienischen Humanismus zu Ende, das Stadium, das für die englischen Humanisten ausschlaggebend war. Der Weg nach England führt in eine andere Welt. Um es gleich zu sagen: der englische Humanismus ist mit dem Puritanertum verwandt, ist die erste Stufe der puritanischen Revolution. Zunächst schon bildeten die Alpen die grosse Scheidelinie; bei der anderen Rasse, unter den anderen Lebensbedingungen sprach sich das neue Lebensgefühl anders aus. Humanismus, Renaissance, Reformation, die als europäisches Ereignis über die nationalen Grenzen sich hinwegwälzten, nahmen in jedem Lande eine eigene Färbung an. Die Kultur der Antike, auf die zurückzugreifen sie sich bestrebten (d. i. im wesentlichen die hellenische), kam einer solchen Einstellung entgegen (denken wir nur an die παιδεία πολιτική) und so wurde trotz aller Fäden, die in die frühere Zeit zurückreichten, die neue national und individuell orientierte Einstellung der übernational-kosmopolitischen des Mittelalters mit den Symbolen des einen Papstes und des römischen Kaisers (deren Fortsetzer und Erbe sie war) fremd, ja entgegengesetzt. Bezeichnend wurden so die unter dem Namen Reformation zusammengefassten kirchlichen und religiösen Bewegungen das Ergebnis und die angemessene Aussprache des neuen Geistes. Mehr noch als in Deutschland und den Niederlanden, wo der Humanismus in gelehrte Bahnen geriet, sind es in England religiös-pädagogische Bestrebungen, die das Wirken der Humanisten bestimmen, die oft mehr an die erste heidnisch-christliche Krise des 5. Jahrh. etwa erinnern als selbst an das Florenz eines Savonarola. Man möchte auch an die Bestrebungen der frühesten italienischen Renaissance denken, die z. B. bei Rienzo politische, nationale, sozialistische, religiös-kirchliche und humanistische Bestrebungen zusammenfassen wollte, wenn nicht selbst bei einem Joachim von Fiore oder Franz von Assisi trotz aller Weltabkehr ästhetische Bedürfnisse wie Musik und Poesie eine unentbehrliche Rolle spielten, die nur gesteigert werden mussten, um zu der Freude an Pracht und Festlichkeit bei Dante und Petrarka zu werden. Das kann von den Kreisen Englands nicht gesagt werden. Bezeichnend aber ist, dass jene ersten Italiener stark unter dem Einfluss augustinischer Vorstellungen standen, die zunächst in England eine so geringe, dann aber unter dem Banne Kalvins eine herrschende Stellung einnehmen sollten. Scharf geschieden von den |