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ist zum Kampf der übersinnlichen Mächte um das Land des Geistes geworden. Die Stadt,,Menschenseele" in diesem Land „recht mitten inne zwischen zwei Welten" wird nun verteidigt und bestürmt und vor ihren Mauern wird parlamentiert, wie Bunyan es selbst in Cromwells Heer erlebt und gesehen hatte. Es ist ein grossartiger Versuch, die Heilswahrheiten des kalvinisch-orthodoxen Baptismus in allegorische Form zu bringen. Ein für die Literaturgeschichte bedeutsames Werk, wie Schöffler (S. 154 f.) mit Recht hervorhebt und wie schon H. Weingarten (1864 im 2. Heft der Jahrbücher für deutsche Theologie) es erkannt hatte. In ihm erscheint der Puritanismus der Heiligen erfüllt von Visionen, aber ohne höhere Kultur.

Ein weiteres Charakteristikum der puritanischen Literatur ist die Verwendung der Allegorie. Die Allegorie ist altes literarisches Gut, das schon in der Antike Verwendung fand; einerseits in den Eklogen (schon bei Theokrit ist es der Dichter, der im Schäferkostüm auftritt), anderseits bei Plato, der sie (als Mythe) im Phädrus z. B. zur Aufhellung des Dunkels abstrakten Denkens verwendet. Die Allegorie ist dann eine gemeinmittelalterliche Attitüde, die nun in den verschiedensten Formen Anwendung findet. Als Personifikation des Abstrakten geht der Weg von Prudentius, Martianus Capella und Boethius zu der stereotypen Form, die wir in der weltlichen Ritterdichtung (wie im Roman der Rose z. B.) antreffen. Anderseits wurde die Allegorie der Platoniker als die gegebene Art der Natur- und Bibelerklärung in das scholastische System übernommen und wurde in der himmlischen Hierarchie mit seinen Engeln und Heiligen zur Verkörperung einer neuerschaffenen Welt. In diesem Sinne ist die Allegorie bei Dante ein wesentlicher Teil seines Gedankensystems. Wie die Scholastik nahm er das Sichtbare als ein Bildliches des göttlichen Geistes, derart, dass eine Verstandesaktion den Wert des erfassten Sinnenbildes erst nachträglich und immer mehr enthüllte. So muss man eigentlich schon von einem Symbol reden, das End- und Grenzenloses, verstandesmässig nicht mehr rein Erfassbares, versinnbildlicht. Jedes Ding wird Symbol seiner Existenz in einer Welt des Geistes. Diese speziell katholischer Auffassung zusagende Verwendung war einer puritanischen Denkweise, die in jedem Symbol etwas Päpstlich-Götzendienerisches witterte, zuwider. Wenn man zusammenfassend sagen kann, dass im wesentlichen zwei Arten allegorischer Konzeption zu beachten sind, von denen die eine konkreten (oder konkret erschaffenen) Figuren allegorisch eine (symbolische) Bedeutung verleiht, die an

dere für die abstrakten Dinge allegorische Verkörperungen sucht, so geht das in praxi ineinander über; für den Puritaner zwar war nur der zweite Weg gangbar, für den Dichter eigentlich nur der erste. Das gleiche Resultat ermöglichte, dass die Allegorie der Treffpunkt der feindlichen Lager werden konnte, ermöglichte auch, dass ein Puritaner wie Bunyan Künstler werden und ein Künstler wie Spenser Puritanern genehm sein konnte. Denn Spensers Allegorik ist nicht nur puritanisch. Es drängen sich bei ihm viel durchaus künstlerische Motive ein. Zwar erzählt er in durchgeführter Allegorie die Kämpfe und den endgültigen Sieg des Red Cross Knight (Heiligkeit), zwar kann sein allegorisches Spiel mit personifizierten Tugenden und ethischen Qualitäten als ein Epos der Kämpfe und des Siegs der christlichen Wahrheit aufgefasst werden, aber die Vielfältigkeit seiner Absichten (indem jede Allegorie erstens das eine und zweitens noch ein anderes bedeutet) raubt seiner Allegorik die ethisch tiefgreifende Wirkung, verschliesst dem Durchschnittsleser das Verständnis ohne Kommentar und schwankt zwischen dem Symbolischen und Allegorischen hin und her. Tatsächlich hängt seine Allegorie mit Philosophie innig zusammen, so wie bei Dante; die puritanische Wertschätzung verkannte dies und achtete ihn gleich einem Langland, dessen Allegorik auch nicht das Mindeste mit Symbol und Philosophie zu tun hat, sondern praktisch-poetisches Mittel ist, den abstrakten moralischen Gedanken auszusprechen. Das aber ist der Punkt, worauf die von den Puritanern gebrauchte Allegorik basiert ist, und wofür das Mirakel als ein Spiel, in dem alle Personen abstrakte Prinzipien sind, deren Handlungen aber den Handlungen der Menschen dieser Realität entsprechen, bereits das Vorbild gegeben hatte. Solche Allegorie musste den Puritanern liegen, da sie ja die einzige Möglichkeit bot, puritanische Gedanken in der Kunst auszusprechen, allgemeine Begriffe, deren Wesen für dichterische Behandlungen zu spröde war, dem Gebiet der Prosa zu entrücken, wobei in Gefolgschaft Spensers eine „metaphysische“ Neigung bestehen blieb (vgl. Ph. Fletcher!). Wer nichts gelten lässt als die Menschenseele und den Schöpfer, muss die in der Kunst nötige Anschaulichkeit durch die Allegorie geben (vgl. G. Fletcher, Quarles usw.). In Fortsetzung Langlands aber nicht auf Langland basierend, sondern auf der Bibel, deren Gleichnisreden und Bildlichkeit Quelle und Anlass des grössten Teils der puritanischen Allegorik sind, die sich erst von unserem Standpunkt aus rückschauend der literarischen Tradition einordnen lässt —, der in

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einer grossen Reihe von Allegorien (in Form von Visionen) oft mystisch dunkel, oft aber auch realistisch derb seine dem Puritanismus verwandten Gedanken über die nötige Verinnerlichung des Christentums und gegen das formalistische Kirchentum aussprach, hat Bunyan eben mit Hilfe der Allegorie versucht, dem Leser die Stadien des Lebenskampfes sowie die Heilswahrheiten vor Augen zu führen. Ihm ist die in Form der Allegorie erzählte Geschichte nur das Vehikel der mitzuteilenden christlichen Lehre; da er aber in dieser Allegorie Portraits seiner Umgebung gab, da er unkompliziert die Charaktere direkt aus dem innewohnenden Gedanken entwickelte und wirklich konkrete Versinnlichungen der Tugenden und Laster erschuf, und zu diesem Realismus ein Realismus der Sprache kam, der sich nur der biblischen auch im puritanischen Sprechstil täglich angewandten Stilmittel der Metapher und des Gleichnisses bediente, wurde er wider Willen zu einer literarischen Grösse.

Damit sind wir zu einem Punkt gekommen, den Taine einmal dahin formuliert: 'à proprement parler, ils ne pouvaient avoir qu'un poëte sans le vouloir' (p. 385). Das ist erstens an sich der Fall und zweitens, als sie durch ihre ganz anders gemeinte literarische Produktion neue weltliche Literaturformen anbahnten. Es ist das ein sich immer wiederholender Vorgang; sowie man über der kirchlichen Schätzung der Paulinischen Briefe das Bewusstsein dafür verlor, dass sie ursprünglich gar nicht Literaturprodukte im strengen Sinn gewesen sind, sondern wirkliche Briefe, entsprungen aus der Sorge des Apostels für seine Gemeinde, sowie man die, mit der ausschliesslichen Absicht religiöser Erbauung geschriebenen, Bekenntnisse des hlg. Augustinus seit Petrarca als literarisches Dokument menschlicher Art und geistiger Kultur anzusehen sich gewöhnte, so hat eine spätere Zeit die literarischen Erzeugnisse des Puritanismus in einem anderen Sinn gelesen und in dieser Richtung Anregung von ihnen empfangen. So stellt (wie Schöffler ausführt S. 153 ff.) Bunyans Werk den Abschluss und die Umbildung der puritanischen Erbauungsliteratur dar durch seinen Schritt zur Allegorisierung einer phantasiehaften Darstellung, zur Ausschmückung dessen, was ihm vor der Seele steht: Pilgrim's Progress führt die historisch-erzählende Erbauungsliteratur fort ins Allegorische, „Erdichtete", Life and Death of Mr. Badman die moralisch-didaktische, indem aus systematischem Handbuch eine Erzählung wird, und Holy War desgleichen die dogmatische Erbauungsliteratur. Es ist,

als ob Bunyan solche Folgen selbst geahnt hätte, wenn er in Erwartung des Angriffs seiner Gesinnungsgenossen in langen Apologien sich ob der Einkleidung der geistlich erbaulichen Erzählung in ein weltlich-literarisches Gewand entschuldigt. Die Freude, die der moderne Leser über Bunyans realistische Erzählungskunst empfindet, ist etwas ganz anderes als die Erbauung, die die Puritaner daraus schöpften. Aber mehr noch, die puritanische literarische Tätigkeit wird einer der Ausgangspunkte des Romans, dessen von Anfang an stark realistische Erzählungskunst sowohl die von den Puritanern vertretene Moraltendenz teilt wie deren Wahrhaftigkeit (Editionen,,wahrer" Dokumente, wirkliche Erlebnisse in realistischer Darstellung) und auch das kleinbürgerliche Milieu (Badman, Robinson, The London Merchant, Pamela). Zugrunde liegt ein tiefer Zusammenhang zwischen Autobiographie und Roman, der bis ins Altertum zurückreicht. Es ist die Form, in der Hermas im Hirten in der Form der Ich-Erzählung ihm offenbarte Gebote und Gleichnisse mitteilte, und die christlichen Schriftsteller, die sich seit dem zweiten Jahrh. in den Formen der hellenistischen Kulturwelt bewegen, bringen mit Vorliebe die selbsterzählte Bekehrungsgeschichte (Einfluss von Paulus, Psalmen, Jeremias, Gregor v. Nazianz; vgl. Misch S. 337 ff., 387 ff.) am Eingang von apologetischen, erbaulichen und lehrhaften Schriften, um durch ihr eigenes Erleben ihrer lehrhaften Forderung grösseren Nachdruck zu verleihen. Fällt hierbei wieder die Parallele zwischen Puritanismus und frühem Christentum in die Augen, so wird sie vollends deutlich bei Augustinus. Augustinus bezeichnet es gewissermassen als Grund seiner Autobiographie: (X/XVI) „ich habe Arbeit, ständige Arbeit ihn mir selbst; ich bin mir ein Grund von Schwierigkeiten und übergrossem Schweisse geworden". Also gänzlich entgegengesetzt der Renaissanceattitüde, der die Selbstschilderung aus dem Vollgefühl der Individualität quillt, gänzlich entgegengesetzt auch zu der Art des christlichen Altertums, wo der Schriftsteller den Zusammenhang des menschlichen Daseins, wie er ihn in seiner Lebensarbeit ergründet hat, auf dem Boden seiner Geschichte zur Anschauung bringen will, liegt das wahrhaft Wesentliche bei Augustinus nicht in der Individualität und deren Entwicklungsstufen, sondern die Lebensgeschichte ist metaphysisch verstanden. Wir brauchen nur die praktischethischen Tendenzen des Puritanismus einzusetzen, um nicht die literarische Abhängigkeit sondern den gleichgestimmten Lebensdrang zu erkennen, der in derselben Form Äusserung fand

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als Seelengeschichte, nicht etwa aus der individuellen Erfahrung einer grossen Persönlichkeit, sondern als typische, ewige Geschichte der menschlichen Seele mit ihren Auswirkungen in der religiösen Praxis und zu den Zwecken der Erbauung. Die Autobiographie erwächst natürlich aus dem Denkensgebiet des Puritanismus: der Beschäftigung mit dem Ich und dessen Beziehungen zu Gott. Hier wie bei Augustinus das Einbeziehen des Traums auch, und die in der Verbindung von Naturalismus und Übersinnlichkeit gegebene Möglichkeit einer psychologischen Autobiographie. In ihrer Ausführung in praxi muss die Autobiographie reichste Anregung geben für alle Literaturgattungen, da sie alles umfasst von Selbstcharakteristik, Lyrik und Bericht zu Familien chronik, Geschichtserzählung und Roman. All das bezieht sich einerseits auf die Autobiographie vom Stil der 'Grace abounding Bunyans (die sich unter immer stärkerer Ausschaltung der realistischen Elemente als 'spiritual autobiography', als Seelengeschichte, bis in die englische Literatur der neuesten Zeit weiterverfolgen lässt), anderseits auf die Journale der Quäker (hauptsächlich: G. Fox, Th. Ellwood 1639-1713, Dan. Roberts 1659-1727), die erstens in nüchterner Chronikprosa (Aufzählung von Reisezielen, Missionserfolgen u. dergl.) und in kleinen, mit biblischer Schlichtheit erzählten, Einzelheiten und Erlebnissen und ganzer novellistisch ausgearbeiteter Episoden (gerade weil sie in bestimmter Absicht gestaltete Werke sind, die ein Stück Religions- und Zeitgeschichte von unten, aus den bürgerlichen Schichten aufbauen) die Vorstufe (in Stoff, Form und Gliederung) des englischen Romans des 18. Jahrh. bilden, die zweitens durch den Hang in der eigenen Seele tiefer und tiefer zu graben und das Bedürfnis, mit ehrlicher Wärme des Gemüts auf Freundes- und Feindesseele einzuwirken, auch diejenige Stimmung bereits vorbilden, die, als ,,sentimental" bezeichnet, ein Charakteristikum des Romans Richardsons u. a. bildet. So leiten gerade die Quäkerjournale, die ihre Wurzel in den puritanischen autobiographischen Bekehrungsgeschichten und den puritanischen Märtyrergeschichten (Foxe!) haben, über auch im Stil zu dem Roman, der mit Richardson internationale Wirkung erhielt.1)

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1) Vgl. dazu E. Danielowski / Die Journale der frühen Quäker, Berlin 1921 bes. SS. 24, 83 f., 86, 92, 101, 106. Die gerade Entwicklung von der puritanischen Erbauungsliteratur zum Roman macht Schöffler noch deutlicher, indem er die Fäden blosslegt, die Erbauungslit. mit Defoes Robinson Crusoe verbinden (156 ff.). Die gemeinsame Wurzel ermöglichte es, dass für die Zeitgenossen Bunyan, Defoe, Richardson in eine Linie gestellt werden konnten.

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