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Aen. I, 1 ff.

Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris
Italiam fato profugus Laviniaque venit

litora, multum ille et terris iactatus et alto

vi superum, saevae memorem Junonis ob iram,

multa quoque et bello passus, dum conderet urbem. .

Schon im Jahre 1884 wies Eichler in der Zeitschrift für die österreich. Gymnasien" S. 336 in einer Besprechung der Brosinschen Ausgabe der Äneide nachdrücklich darauf hin, daß die hertommliche Interpunktion dieses Proömiums nicht die richtige sei, und verlangte hinter iram eine stärkere Interpunktion. Es ist in der That nicht möglich, passus als Participium zu fassen und mit venit zu verbinden. Erfordert nämlich einerseits schon der Charakter des Proömiums als eines Programms, daß in demselben des sechs Bücher umfassenden Rutulerkrieges gedacht werde, so weist anderereits die enge Verbindung des bello passus mit dem davon abhängigen Nebensage dum conderet urbem etc., welcher doch auch finale Bedeutung hat, entschieden darauf hin, daß hier nur der Krieg in Latium gemeint sein kann. „Die kriegerischen Leiden des Aeneas begannen aber erst nach seiner Ankunft in Italien, während venit passus den gegentheiligen Sinn ergiebt."

Die neueren Herausgeber, wie Klonçek, Gebhardi und Brosin interpungieren aber hinter litora stärker und sehen hinter iram ein Komma, wie schon Goßrau hatte. Und dies ist die

einzig richtige Interpunktion, denn iactatus ist ebenfalls als verbum finitum zu fassen. Zieht man nämlich, hinter iram stärker interpungierend, iactatus als Participium zu venit, so entgeht man zwar der Notwendigkeit zweimal ein est zu supplieren, allein man reißt Zusammengehöriges auseinander. Säße und Sagglieder nämlich, welche in so unmittelbarer Aufeinanderfolge mit demselben Worte beginnen, können nur als die Glieder einer anaphorischen Gruppe angesehen werden, bilden als solche eine logische Einheit und sind von gleichem grammatischen Werte. Offenbar aber liegt hier in multum iactatus und multa passus anaphorische Sazbildung vor. Ist also passus verbum finitum und es fann nicht anders sein

so muß man unbedingt auch iactatus als solches ansehen. Eine ana

phorische Figur, welche gebildet würde von dem Participium des vorhergehenden und dem verbum finitum des folgenden Sayes, giebt es

wenigstens bei Vergil nicht.

Der Dichter hat also hier die Anaphora in vv. 3 und 4 des ersten Buches der Odyssee mit

den nämlichen Worte nachgebildet.

Aen. I, 52 ff.

hic vasto rex Aeolus antro

luctantis ventos tempestatesque sonoras
imperio premit ac vinclis et carcere frenat.
illi indignantes magno cum murmure montis
circum claustra fremunt; celsa sedet Aeolus arce
sceptra tenens mollitque animos et temperat iras;
ni faciat, maria ac terras caelumque profundum
quippe ferant rapidi secum verrantque per auras.
sed pater omnipotens speluncis abdidit atris
hoc metuens molemque et montis insuper altos
imposuit regemque dedit, qui foedere certo

et premere et laxas sciret dare iussus habenas.

I.

Man hat v. 57 dahin verstehen wollen, daß Äolus die gegen ihre Haft sich sträubenden Winde beaufsichtigen und beschwichtigen müsse, damit dieselben nicht ausbrechen und, wie in v. 58 f. geschildert ist, den Bestand der Welt gefährden. Größtenteils infolge dieser Auffassung hielt man es (Kappes) für geboten, die celsa arx des Gottes in die Höhle selbst oder doch wenigstens (Kviçala) in die unmittelbarste Nähe derselben, und zwar auf den Windberg, zu verlegen und dann eine künstliche Verbindung zwischen dem Kerker der Winde und der Wohnung ihres Herrschers anzunehmen. Es ist nun zweifellos, daß die Worte mollitque animos et temperat iras an und für sich diesen Sinn haben können, allein da sich dabei verschiedene Schwierigkeiten ergeben. und nach dem Zusammenhange eine andere Auffassung möglich ist, welcher jene Schwierigkeiten nicht entgegenstehen, so dürfte dieselbe wohl eher im Rechte sein.

Zunächst nämlich entspricht der folgende Gedanke ni faciat, maria ac terras (v. 58 f.) jener Auslegung nicht. Falls Äolus es nicht thäte, heißt es, also die Winde gewähren ließe, würden dieselben Meer und Erde und Himmel mit sich fortreißen. Als die unmittelbare und nächste Folge dieser Unterlassungsfünde des Äolus sollte man aber doch den Gedanken erwarten, daß die Winde die Wand des Berges durchbrechen oder die Decke desselben abheben oder auf irgend eine andere ge= waltsame Weise sich einen Ausweg bahnen würden, um die ersehnte Freiheit zu gewinnen: dann erst könnte das in v. 58 f. in Aussicht Gestellte eintreten. Ich sehe nun keinen Grund, warum der Dichter, wenn er mit dem ni faciat auf das Beaufsichtigen und Beschwichtigen der Winde hindeuten wollte, den soeben ausgeführten Gedanken, nämlich daß die Winde ausbrechen würden - hätte unterdrücken sollen. Er ist doch epischer Dichter, und ein so wichtiges Glied der Gedankenreihe durfte er nicht wohl ausfallen lassen. Liegt doch an unserer Stelle ruhige objektive Schilderung und nicht der sprunghafte Gedankengang eines leidenschaftlich erregten Gesprächs vor. Ja, ich sollte meinen eine wenn auch kurze Schilderung eines solchen zu fürchtenden Ausbruchs der Winde hätte sich der epische Dichter, falls er an einen solchen gedacht, wohl auch nicht entgehen lassen. Auch dürfte man bei der vermeintlichen Wichtigkeit und Notwendigkeit einer Beaufsichtigung der Winde mit Recht erwarten, daß diese Thätigkeit v. 62 f. unter den amtlichen Funktionen des Äolus besonders erwähnt wäre;

allein dies ist nicht der Fall, und ich kann auch nicht zugeben, daß sie mit unter das premere habenas zu rechnen sei, denn unter diesem Ausdrucke wird man als Gegensag zu dem laxas dare habenas, dem Aussenden der Winde, immer nur das Eingesperrtsein derselben denken dürfen.

Eine Beaufsichtigung der Winde behufs der Verhütung eines Ausbruchs derselben würde aber auch die beständige Anwesenheit des Äolus in der Windhöhle oder in der nächsten Nähe derselben erfordert haben, Äolus selbst würde dadurch geradezu zum Mitgefangenen gemacht worden sein; allein daß sich der Dichter selbst das Verhältnis nicht so gedacht hat, beweist v. 79, denn das tu das epulis accumbere divom setzt doch auch eine gelegentliche und zeitweilige Abwesenheit des Windgottes voraus.

Als Mittel, den Ausbruch der Winde zu verhüten, hat sich der Dichter, wie ich glaube, die feste Einkerkerung derselben durch Jupiter, wie sie v. 60 f. geschildert ist, und nur diese gedacht, und ich kann in der Hendiadys molem et montes altos (insuper imposuit) v. 61 nicht mit Ladeig-Schaper einen unerträglichen Pleonasmus" finden, sondern eine mit gutem Bedacht gewählte, llerdings kräftige Bezeichnung des Mittels, das Jupiter angewendet hatte, um eben die Höhle für die Winde unzerstörbar zu machen. Und entweder diese aufgelegte Bergmasse genügte: dann bedurfte feines Aufsehers der Winde, oder sie genügte nicht, und dann war sie überhaupt zwecklos. Ladeg brauchte freilich mehrere montes, um seine Ansicht von einem Zellengefängnisse zu begründen. Nun wird man mir freilich entgegen halten, daß für Wesen, deren vereinte Kraft imstande Meer und Erde und Himmel mit sich fortzureißen, selbst der stärkste, noch so gut verwahrte Berg feine genügende Fessel sei, und ich gebe dies herzlich gern zu; allein dann muß ich doch auch fragen, was vermag so furchtbaren Gewalten gegenüber überhaupt ein Aufseher, selbst wenn er göttlicher Art ist, was nügt dann überhaupt eine Einkerkerung? Ja man könnte dann fragen, wie ist man überhaupt imstande gewesen solche Gewalten in eine Höhle einzusperren? Ich meine die Wendung v. 58 f. maria ac terras caelumque profundum quippe ferant etc. ist nur eine rhetorische Übertreibung and zwar in Gestalt einer Metonymie und durchaus nicht wörtlich zu verstehen. Dies beweisen schon die gleichen Hyperbeln in den Stellen Aen. I, 133 f. wo Neptun zu den Winden, welche im Sturme das Meer aufgeregt haben, sagt:

iam caelum terramque meo sine numine, venti,

miscere et tantas audetis tollere moles?

und Aen. V, 790 f., wo Venus den nämlichen Sturm dem Neptun als ein Werk der Juno schildert mit den Worten: maria omnia caelo miscuit. .; und der weitere Verlauf der Erzählung selbst. Denn nachdem Äolus auf den Wunsch der Juno die Winde losgelassen hat, heben sie nicht etwa die Welt aus den Angeln, sondern sie kühlen ihr Mütchen an der trojanischen Flotte. Der Dichter dachte vielmehr an die Schäden, welche die Stürme auf dem Meere und dem Lande anrichten, an ihr wildes Spiel mit den Wolken, an die Erregung von Gewittern und Regengüssen, denn das Epitheton profundum zu caelum zeigt ganz unzweifelhaft, daß der Dichter hier unter caelum den Luftraum meint, das Gebiet der Wolken, nicht den darüber befindlichen festen Siz der Götter. Dies beweist auch die Parallelstelle Ge. IV, 222, wo es von den Bienen heißt, daß sie „per caelum profundum" fliegen, d. h. durch den Luftraum, und dies ist maßgebend für die Auffassung des maria ac terras; es sind nämlich gemeint die Dinge auf der Erde und auf dem Meere. Diese Wirkungen der losgelassenen Winde sind aber immerhin noch groß genug, um die Hyperbel zu rechtfertigen und zugleich begreiflich zu machen, weshalb der Dichter es für nötig erachtet, daß sie in Schranken ge= halten werden.

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