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nicht werth. Er verdienet eine liebe Frau; aber wodurch hat er sie verdienet? Kommen sie mit nach London, ich habe ein großes Haus, und es ist in der ganzen Welt nicht besser, als in London. Was, fieng sie an, als in London? und hier bey ihnen, fuhr er lächelnd fort, und fragte mich, ob ich ihn denn auch etliche Tage bey mir behalten, und mir seine Art zu leben, die nicht nach der Welt wäre, gefallen lassen wollte. Er war wirklich bey allen seinen kleinen Fehlern ein recht liebenswürdiger Mann, und die Aufrichtigkeit, mit der er sie begieng, machte sie angenehm. Er war dreift, ohne die Höflichkeit zu beleidigen, und seine Vorurtheile waren entweder unschuldig, oder doch dem umgange nicht beschwerlich. Wir begiengen diesen und den folgenden Tag das Hochzeitfest nach seinem Plane. Er war auf die anständigste Art munter, und weckte uns alle durch sein Beyspiel auf. Sein Leibspruch war: man kann fromm und auch vergnügt seyn. Mein Sohn, sprach er, hat mir viel bekümmerte Stunden gemacht, nun soll er mir freudige Lage machen. Er tanzte denselben Abend bis um eilf Uhr, und war gegen R.. und den Grafen, und gegen seinen Sohn selbst, ein Jüngling. Das heißt, fieng er an, recht ausgeschweift. So spät bin ich seit vierzig Jahren nicht zu Bette gegangen. Aber ist doch das Tanzen keine Sünde. Wenn ich nun auch diese Nacht stürbe: so würde mir meine Freude doch nichts schaden. R.. fragte ihn bey dieser Gelegenheit, wie er sich denn bis in sein hohes Alter so munter erhalten, und wodurch er die Furcht vor dem Tode besiegt hätte, da er ihm nach seinen Jahren so nahe wäre. Daß ich noch so munter bin, sprach er, das ist eine Gabe von Gott und eine Wirkung eines ordentlichen Lebens, zu dem ich von den ersten Jahren an gewöhnet worden bin. Und warum sollte ich mich vor dem Tode fürchten? Ich bin ein Kaufmann; ich habe meine Pflicht in Acht genommen, und Gott weis, das ich Niemand mit Willen um einen Pfennig betrogen habe. Ich bin Gellert IV.

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gegen die Nothleidenden gütig gewesen, und Gott wird es auch
gegen mich seyn. Die Welt hier ist schön; aber jene wird noch
besser seyn. Mußte man einen solchen Mann nicht lieben, der von
Jugend auf mit dem Gewinne umgegangen war, und doch ein
so edelmüthiges Herz hatte? Er bezeigte über das große Verz
mögen, das Amalie besaß, keine besondere Freude. Mein Sohn,
sprach er, du hast ein Glück mehr, als andere Leute; aber du
haft auch eine Last mehr, wenn du dein Glück recht brau-
chen willst.

Nachdem er das Vergnügen eingesammelt hatte, das sich ein
Vater in seinen Umständen wünschen konnte; so waren alle
unsre Bitten nicht vermögend, ihn von der Rückkehr in sein Va-
terland abzuhalten. Ich will in London sterben, sprach er, und
bey meiner Frau begraben werden; lassen sie mich reisen, ehe
die See stürmisch wird. Ich will ihnen meinen Sohn zurück
lassen und zufrieden seyn, wenn er nur künftiges Jahr zu mir
kömmt. Der junge Steeley wollte seinen Vater nicht allein reiz
sen lassen, und sich doch auch nicht von uns trennen. Mit einem
Worte, wir entschlossen uns alle, Carolinen ausgenommen, ihn
nach London zu begleiten und den Winter über da zu bleiben.
Dieses hatte der Alte gewünscht; aber nicht das Herz gehabt, es
uns anzumuthen. Ehe wir fortgiengen, stifteten wir noch ein
gutes Werk. Wid, so hieß der junge Mensch, der feine Geliebte
ehemals verlassen hatte, war völlig von seiner Krankheit wieder
hergestellt. Er wünschte nichts, als seine Braut zu besigen, und
mit seinem Vater wieder ausgeföhnt zu werden. Wir hatten an
ihn geschrieben; aber er wollte nichts von seinem Sohne mehr
wissen, und versicherte uns, daß er ihn, so geringe sein Ver-
mögen wäre, doch schon enterbt hätte. Der junge Wid dauerte
uns, und wir sahen, daß er die Thorheit seiner Jugend in sei-
nen männlichen Jahren wieder gut machen würde. Er hatte in

Leyden bis in fein siebenzehntes Jahr studirt, und nachdem auf
seines Vaters Willen in ein Contoir gehen müssen. Andreas war
auf das erste Wort willig, ihn in seine Handlung zu nehmen.
Wir machten ihm eine kleine Hochzeit. Amalie stattete die Braut
sehr reichlich aus, und der alte Steeley und der Graf gaben
ihm auch tausend Thaler. Wir streckten ihm überdieß noch ein
Capital in die Handlung vor, und meldeten alles dieses seinem
Bater, um ihn desto eher zu gewinnen. Wir überließen also
Carolinen unsre Tochter und unser Haus zur Aufsicht, und gien-
gen zwölf Tage nach des alten Steeleys Ankunft zur See. Der
Wind war uns so günstig, daß wir in wenig Tagen nur noch
etliche Meilen von London waren. Wir trafen ein Paquetboot
an, und um eher am Lande zu seyn, sehten wir uns in dieses;
allein zu unserm Unglücke. Wir waren alle in dem Boote, bis
auf den alten Christian der Amalie. Dieser wollte seinem Herrn
die Chatoulle, in welcher der größte Theil von Amaliens Vermö-
gen an Kleinodien und Golde war, von dem Schiffe zulangen.
Steeley und ein Bedienter des Grafen griffen auch wirklich dar
nach; allein vergebens. Christian, es mag nun seine Unvorsich-
tigkeit oder das Schwanken des Schiffes Schuld gewesen seyn,
ließ vor unsern Augen die Chatoulle in die See fallen, und
schoß in dem Augenblicke, entweder aus Schrecken, oder weil er
sich zu sehr über Bord gehoben hatte, selbst nach. Wir hatten
alle Mühe, ihm das Leben zu retten, und ein Schaß von mehr
als funzig tausend Thalern war in einem Augenblicke verloren.
Bin ich ihnen, fieng endlich Amalie zu ihrem Manne an, noch
so lieb, als zuvor? Steeley betheuerte es ihr mit einem heili-
gen Schwure, und nun war sie zufrieden. Der alte Steeley, so
wenig er das Geld liebte, konnte doch den Zufall nicht vergessen.
Er hielt dem alten Christian eine lange Strafpredigt. Endlich
nahm er Amalien bey der Hand. Seyn sie getrost, sprach er,
ich habe, Gottlob! so viel, daß sie beide nach meinem Tode ohne

Kummer mit einander werden leben können. Den armen Christian kostete diese Begebenheit dennoch das Leben. Er kam krank nach London, und starb bald nach unsrer Ankunft. Amalie und Steeley hatten eine außerordentliche Liebe für diesen Menschen, und sie ließen ihn den verursachten Verlust so wenig entgelten, daß sie ihn vielmehr für seine Treue auf die großmüthigste Art noch auf seinem Sterbebette belohnten. So bald sie vom Doctor höreten, daß wenig Hoffnung zu seinem Aufkommen übrig wäre: so ließen sie ihn in ein Zimmer neben dem ihrigen legen, um ihn recht sichtbar zu überführen, daß sie nicht auf ihn zürnten; denn dieses war sein Kummer. Kurz vor seinem Tode besuchte ich ihn noch mit Amalien. Der alte Steeley kam auch und sezte sich vor das Bette des Kranken, um ihn sterben zu sehen. Er hat ein sanftes Ende, fieng er zu uns an, und wenn es seyn müßte, ich wollte gleich mit ihm sterben. Der Sterbende schien sich noch einmal aufrichten zu wollen, und indem schoß ihm ein Strom vom Blute aus dem Munde, und Christian war todt. Bin ich nicht erschrocken! rief der Alte zitternd. Wir wollten ihn in das andere Zimmer führen; allein er konnte sich nicht aufrecht erhalten, und wir mußten ihn hinein tragen lassen. Laßt mir meinen Großvaterstuhl bringen, fieng er an, in diesem will ich sterben, ich fühle mein Ende. Man brachte ihm den Stuhl, und er ließ ihn vor das Fenster, das nach dem Garten gieng, segen, damit er den Himmel ansehen könnte. Er hub seine Hände auf und bat uns (wir waren alle zugegen), daß wir ihn nicht stören sollten. Nachdem er sein Gebet verrichtet, rief er seinen Sohn. Ich fühle es, sprach er, daß ich bald sterben werde. Der gute Christian hat mich recht erschreckt: aber wer kann dafür! Hier hast du den Schlüssel zu meinem Schreibtische. Gott segne dir und deiner Frau das Vermögen, das ich euch hinterlasse; es ist kein Heller von unrechtmäßigem Gute dabey. Der Doctor; nach dem wir geschickt hatten, kam, und öffnete ihm eine Ader,

wozu der Alte Anfangs gar nicht geneigt war. Doch es gieng kein Blut. Er schlug ihm eine an dem Fuße, und auch da kam keines. Sieht er, sprach der Alte, daß seine Kunst nichts hilft, wenn Gott nicht will? Was hat er nunmehr für Hoffnung? Keine, sprach der Medicus. So gefällt es mir, war seine Antwort, wenn er aufrichtig redt. Bedienen sie sich, fuhr der Doc= tor fort, der guten Augenblicke, wenn sie noch einige Unstalten zu treffen haben. Der Alte lächelte: als wenn ich in achtzig Jahren nicht Zeit genug gehabt hätte, die Anstalten zu meinem Tode zu treffen. Gott, fuhr er fort, kann mich rufen, wenn er will, ich bin fertig, bis auf das Abschiednehmen. Wo sind meine Kinder, und meine lieben Gäste? Wir traten alle mit thränenden Augen vor ihn, und er nahm von einem jeden insbesondere Abschied. Ach, fieng er darauf an, wie schön wirds in jener Welt seyn! Ich freue mich recht darauf; und wen werde ich von ihnen am ersten da umarmen? Es wird mir ganz dunkel vor den Augen; aber sonst ist mir recht wohl, recht Bey diesen Wor= ten überfiel ihn eine Ohnmacht, und bald darauf starb er.

Der Anfang unsers Aufenthalts in London war also traurig, und das Geräusche der Stadt und der Besuch war uns so beschwerlich, daß wir uns gleich nach der Beerdigung entschlossen, den Rest des Herbsts, und den Winter selbst, auf Steeleys Landgute, das etliche Meilen von London war, zuzubringen,

Wir lebten daselbst sechs Monate recht zufrieden und meistens einsam, außer daß wir zuweilen die Schwester von der ehemalis gen Braut unsers Steeleys besuchten, und wieder von ihr besuchet wurden. Sie war von ihrer ganzen Familie noch allein am Leben, und entschlossen, niemals zu heirathen. Niemand, als sie, wußte, wer mein Gemahl war; denn die andern Nachbarn kanne ten ihn nicht anders, als unter dem Namen des Herrn von Loe

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