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Mai 1855. 16

VON LUDOLF

PARERGA ARCHAEOLOGICA;
STEPHANI.

XIV.

Wie die Historien-Maler der neueren Kunst, wenn sie ihren Compositionen grösseren Umfang und reichere Mannigfaltigkeit geben wollen, genöthigt sind, auch eine grössere oder geringere Anzahl von Personen anzubringen, welche von der Geschichte nicht überliefert sind, so mussten natürlich auch die alten Künstler dasselbe thun, wenn sie die Ueberlieferungen der Sage darstellten. Individuelle Namen jedoch waren für solche Personen in Folge der Zwecke, denen sie zu dienen bestimmt waren, ganz unwesentlich. Die alten Künstler sind daher auch verhältnissmässig nur selten so weit gegangen, selbst mehr oder weniger entsprechende Namen für sie zu bilden und beizuschreiben 1). Weit häufiger seben wir selbst in den sorgfältiger durchgeführten Darstellungen der Sage, in denen allen übrigen, sogar solchen Figuren ihre Namen beigeschrieben sind, die gar nicht verkannt werden können, doch jene nur aus künstlerischen Rücksichten angebrachten Personen ohne Beischrift, da eben die Künstler für sie keine individuellen Namen in Bereitschaft hatten; oder wir finden ihnen aus demselben Grunde nur generelle Ausdrücke

1) So z. B. die Namen der Satyrn und Nymphen auf No. 50 des folgenden Verzeichnisses.

beigegeben 2). Die Kunst- Exegese hat dieses in der Natur der Sache begründete Verhältniss noch nicht in ausreichendem Maasse beachtet. Im Allgemeinen sehen wir sie noch einen nicht selten ganz unberechtigten Werth auf individuelle Namen legen, und selbst da ängstlich nach ihnen suchen, wo die alten Künstler sicher nicht daran gedacht haben. Die genauere Ermittelung der Bedeutung aber, welche solche Fi guren im Kunstwerk als solchem haben, wird noch allzuoft vernachlässigt.

Einen grösseren oder geringeren Einfluss auf das Anbringen derselben hatten natürlich jeder Zeit die Bedürfnisse der Gruppirung, namentlich das Gleichgewicht und die Abrundung der Massen, die Füllung des gegebenen Raumes u. s. w. Allein in den Werken der ausgebildeten Kunst baben sie we nigstens in der Regel zugleich noch weitere künstlerische Zwecke zu erfüllen, die ihnen erst eine höhere Berechtigung verleihen und auf deren Kenntniss es vorzugsweise ankommt.

Einer derselben beruht auf der offenbar richtigen Erkenntniss der alten Künstler, dass die Bedeutsamkeit und Wichtigkeit einer dargestellten Handlung, von welcher Art sie auch sein mag, nothwendig weit augenfälliger, mithin auch die Wirkung des Ganzen wesentlich erhöht werden muss, wenn das Bild selbst eine oder ein paar Personen enthält, welche, ohne an der Handlung selbst betheiligt zu sein, durch ihre Haltung, mag diese nun Neugierde und gespannte Aufmerksamkeit, Erstaunen, Freude oder Entsetzen verrathen, den Eindruck zur Anschauung bringen, den jene Handlung in der

2) 5ο παιδαγωγός auf der Archemoros-Vase, τροφός auf der Fran çois- und auf einer Münchner Vase (Jahn: Vasensammlung König Ludwigs No. 333.), Exú±ns auf einem früher der Sammlung Durand angehörenden Gefässe (Gerhard: Auserlesene Vasenb. Taf. 192.), Tpwwv íépeia auf einer Vase der Wiener Sammlung, auf die ich weiter unten zurückkomme, IIépox auf einem Gefässe des Neapler Mu seums (Bull. Napol. Nuova Ser. To. II. S. 129 ff. 169 ff.) und vielleicht selbst Kiμéptos auf der François-Vase. Verwandter Art sind auch die von Jahn: Vasensammlung König Ludwigs S. CXVII. Note 855 zusammengestellten Beispiele, denen sich noch No. 34 des folgenden Verzeichnisses anreiht.

Wirklichkeit auf den unbetheiligten Zuschauer machen würde. Zu Trägern dieses Gedankens, der bei einer sehr grossen Anzahl jener Neben-Figuren wenigstens mitgewirkt hat, konnten natürlich jeder Zeit nur solche Personen gewählt werden, welche sich als naturgemässe Zuschauer der dargestellten Handlung darboten, und zwar waren im Allgemeinen da, wo es sich einfach darum handelte, eine neugierige Aufmerksamkeit oder Schrecken an den Tag zu legen, Frauen - Gestalten vorzüglich geeignet, da man bekanntlich den Frauen einen besonderen Grad von Neugierde beimisst und das weibliche Gemüth weicher ist und daher von äusseren Eindrücken leichter und stärker ergriffen wird, als das männliche. Doch sehen wir auch männliche Gestalten im Ganzen kaum seltener gewählt; ja Satyrn und Pane eigneten sich in Folge ihres ganzen Wesens hierzu in einem vorzüglichen Grade. Nach antiker Vorstellung waren ja diese eben so harmlosen und furchtsamen als derben Kinder der Natur allerwärts, auf jeder Flur und in jedem Hain, gegenwärtig 3) und ihre Lüsternheit und Unerfahrenheit trieb sie, sich bei jeder ungewöhnlichen Erscheinung vorzudrängen und Neugierde, Erstaunen, Freude, Furcht und Entsetzen in der lebhaftesten Weise an den Tag

3) Ich setze eine wenig bekannte, aber recht belehrende Stelle hieher. Hieronymus: Opera To. I. S. 155. ed. Lips. sagt vom h. Antonius: «Nec mora, inter saxosam convallem haud grandem homuncu«lum videt, aduncis naribus, fronte cornibus asperata, cujus extrema "pars corporis in caprarum pedes desinebat; infractusque et hoc An«tonius spectaculo, scutum fidei et loricam spei ut bonus praeliator «arripuit. Nihilominus memoratum animal palmarum fructus eidem «ad viaticum quasi pacis obsides afferebat. Quo cognito gradum pres«sit Antonius et quisnam esset interrogans, hoc ab eo responsum ac«cepit: Mortalis ego sum, et unus ex accolis eremi, quos vario delusa «errore gentilitas Faunos Satyrosque et incubos vocans colit. Lega«tione fungor gregis mei. Precamur, ut pro nobis communem Deum «depreceris, quem pro salute mundi venisse cognovimus.

Nam Alexandriam istiusmodi homo vivus perductus magnum «populo spectaculum praebuit et postea cadaver exanime, ne calore «aestatis dissiparetur, sale infuso Antiochiam, ut ab Imperatore vide«retur, allatum est.» Sollte diese Erzählung nicht den ersten Anstoss zu Goethe's Satyros oder vergöttertem Waldteufel gegeben haben?

zu legen. Dies ist der wichtigste Grund, wesshalb wir sie in so vielen Darstellungen von Scenen der Sage auftreten se hen, wenngleich ihnen von dieser selbst gar kein Antheil bei gemessen wird.

Zu dieser namentlich in Vasen - Bildern mit rothen Figuren hervortretenden Sitte haben jedoch offenbar auch noch andere Rücksichten beigetragen, bald für sich allein, bald in Gemeinschaft mit der eben genannten. Denn nicht nur um das Entsetzliche oder überhaupt das Ausserordentliche einer Handlung durch die Gesten unbetheiligter Personen anschaulich zu machen, sind sie beigefügt, sondern namentlich auch, um deren schlüpfrigen oder überhaupt erotischen Charakter stärker hervortreten zu lassen, da diese Absicht gewiss nicht besser erreicht werden konnte, als wenn die Handlung unter den Schutz des erotischen Gottes Pan gestellt erschien oder sich Satyrn mit der Geberde lüsterner Begierde herzudrängten *).

Ein weiterer Grund war das Burleske, welches ihrer Erscheinung anzuhaften pflegt und sich nicht nur dann ausspricht, wenn sie sich zu einer eigentlichen Spott-Geberde versteigen, sondern selbst da, wo ihre Haltung übrigens Neu: gierde, Erstaunen oder Entsetzen verräth. Die alten Künstler durften mit Recht von der Einmischung eines solchen humoristischen Elements eine erhöhte Wirkung ihrer Schöpfungen erwarten, sei es dass es ihnen nur um einen grösseren Reiz einer übrigens mehr oder weniger indifferenten Handlung zu thun war, sei es dass ihnen eine Milderung des grausenhaften Charakters der dargestellten Scene wünschenswerth erschien.

Endlich sind die Satyrn und Pane in jenen Bildern fast stets zugleich Repraesentanten jener geistigen Kraft, welche

4) Auch in Bildern des Alltags-Lebens brachte man Satyrn ganz in demselben Sinne an. Tischbein: Engravings To. I. Pl. 59. = Lenor. mant: Elite céramogr. To. IV. Pl. 22; Dubois Maisonneuve Introd. à l'étude des vas. Pl. 2. Lenormant: Elite céramogr. To. IV. Pl. 21. Man vergleiche auch den Spiegel No. 8 des folgenden Verzeichnisses.

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