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Darnach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass sie ursprünglich die Statuen eines Mannes und einer Frau getragen hat. Allein gegen ihre Verknüpfung mit den beiden genannten Statuen und überhaupt gegen eine ursprüngliche Verbindung dieser mit einander hat sich offenbar Hr. Le Bas mit vollem Recht erklärt und man muss sich wundern, dass Hr. Ross seine Ansicht später 10) wiederholen konnte, ohne nur auf die Einwendungen jenes Gelehrten Rücksicht zu nehmen. Die weibliche Statue ist nämlich nach meiner Messung ohne Hals und Kopf 1,75 Mètre hoch und würde. demnach, wenn ihr diese Theile nicht fehlten, um mehrere Zolle grösser sein, als die männliche. Sie ist in einem ganz anderen, gröberen Marmor und endlich in einem ganz anderen Stile ausgeführt, der, wenn auch Kenntniss und Fleiss verrathend, doch noch weit kälter und in einem hohen Grade naturalisirend ist, so dass man ihr kaum ein höheres Alter, als das zweite christliche Jahrhundert beimessen kann. Sollten also doch die beiden Statuen schon im Alterthum ein Mal vereinigt worden sein (was jedoch Hr. Le Bas auch bezweifelt, da ihm das Gemäuer, in welchem sie gefunden worden sind, gar nicht ein dazu geeigneter Platz zu sein scheint), so können sie wenigstens nicht von Anfang an zusammengehört haben. Ausserdem ist jene, nicht einmal mit ihnen zusammengefundene, Basis nach der Messung Hrn. Le Bas's nur 1,29 Mètre lang und konnte daher unmöglich hinreichenden Platz für diese beiden Statuen bieten, da die Durchmesser ihrer Sockel zusammen beinahe eben so viel betragen.

Dennoch ist jene Inschrift von einem weit grösseren Interesse, als ihre Herausgeber bemerkt haben. Obgleich Hr. Ross, so wie Hr. Le Bas die fraglichen Namen eben so, wie Ulrichs, richtig abgeschrieben haben, und auch Boeckh) die Abschrift von Ross kannte, liest doch Boeckh den Namen des Mannes Távtov, das soll heissen: Cantium. Hr. Ross schlägt vor: 'Eyváriov; Hr. Le Bas:

10) Archaeol. Zeitung 1848. S. 291. 11) Corpus Inscr. Gr. No. 2349%.

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Παπίριον, Γαβίνιον oder Πλώτιον. Es versteht sich, dass
Theítiov d. h. Glitium zu lesen ist, und überdies ist dieser
Glitius sowohl, als seine Gattin längst bekannt.

Doni12) und nach ihm Muratori13) haben uns die früher in Cività Castellana vorhandene Inschrift erhalten:

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AEGNATIA CON O S P

Die Siglen der letzten Zeile sind offenbar zu lesen: conjugi optimo sua pecunia. Grosse Schwierigkeit hingegen machen die Buchstaben: OP VEHEIS.P.Q., für welche ich keinen Rath zu schaffen weiss. Ausserdem nennt Tacitus 14) den Glitius Gallus als Theilnehmer an der Pisonianischen Verschwörung und sagt dann 15): «Novio Prisco per amicitiam Senecae et Glicio Gallo atque Annio Pollioni, infamatis magis, quam convictis, data exsilia. Priscum Antonia Facilla conjux comitata est, Gallum Egnatia Maximilla, magnis primum et integris opibus, post ademtis, quae utraque gloriam eis auxere 16)». Hiernach könnte man gegen die Aechtheit der lateinischen Inschrift, ohne die griechische zu kennen, Bedenken erheben. Doni scheint das Original nicht selbst gesehen zu haben und hat sich, wenn er auch nicht selbst zu den Fälschern gehört, doch nicht selten täuschen lassen. Deshalb könnte man

12) Inscript. S. 234. No. 35.

13) Thesaur. Inscr. S. 818. No. 10.

14) Annal, XV, 56.

15) Annal. XV, 71.

16) Später erst fand ich, dass auch Franz: Corp. Inser. Gr. To. III. S. 1029 die griechische Inschrift richtig gelesen und mit der Stelle des Tacitus in Verbindung gesetzt hat. Die lateinische Inschrift ist auch ihm unbekannt geblieben, obgleich er dort ausführlich über die Glitier bandelt.

glauben, sie sei mit Hülfe der Stelle des Tacitus gefertigt worden. Allein die griechische hebt jeden Zweifel. Denn den Vornamen Publius konnte der Fälscher weder aus Tacitus erfahren, der ihn gar nicht neunt, noch aus der griechischen Inschrift, die erst ein Jahrhundert später entdeckt worden ist. Da Glitius durch das Exil wohl auch das Patronat von Andros verloren haben wird, so wird man die griechische Inschrift vor das Jahr 65 n. Chr. setzen müssen. Die Inschrift von Cività Castellana aber hat wohl nur sein Kenotaph geschmückt. Auch dürfte eben dieser P. Glitius Gallus der Vater des bekannten «Q. Glitius P. f. Stellatina Atilius "Agricola sein, wornach man vermuthen darf, dass die Turiner dem Q. Glitius geltende Weihinschrift 17) von den Bewohnern von Andros herrührt; und die Egnatia, deren Grossmutter in einer anderen Inschrift von Andros 18) erwähnt wird, wird eben die Gattin des P. Glitius sein.

17) Corp. Inscr. Gr. No. 6763. Die öffentlichen Ehrenbezeugungen decretiren in Andros nicht nur ἡ βουλὴ καὶ ὁ δῆμος, sondern auch ή Avopiwv móλes. Corp. Inscr. Gr. 2349o.

18) Corp. Inscr. Gr. No. 23494.

(Aus dem Bullet. hist.-phil. T. X. No. 16.)

UEBER DIE ANORDNUNG UND EINTHEILUNG DES RÖMISCHEN PRIESTERTHUMS. VON LUDWIG MERCKLIN. (Lu le 29 octobre 1852.)

Die Eintheilung eines Gegenstandes ist ebensowohl der Anfang als der Endpunkt für die wissenschaftliche Betrachtung. Sie beginnt mit derselben, um sich die verschiedenen Gesichtspunkte zu öffnen, die ein wissenschaftliches Object verträgt, sie schliesst mit der systematischen Ordnung, als dem reifsten Ergebniss ihrer Vertiefung und Ausbreitung. Denn wie mit dem Auffinden der Merkmale, ihrer Anordnung und Gliederung das logische Geschäft anhebt, so ist die Erkenntniss ihres Zusammenhangs, ihrer Abhängigkeit und Beziehung der Abschluss: die systematische Eintheilung erschöpft das Wesen des Gegenstandes. Zwischen diesen Punkten liegen alle Wege der erkennenden Thätigkeit, sie tragen sämmtlich bei zur allseitigen Ergründung des gewählten Stoffes, und aus der richtigen Constitution dieser Elemente ergiebt sich zuletzt der Gegenstand selbst, denn diese richtige Constitution fällt mit seinen Grundzügen zusammen. Es kann also alle wissenschaftliche Erkenntniss als ein Beitrag zu der Systematik ihres Gegenstandes angesehen werden. So verschieden nun nach den Objecten und den wissenschaftlichen Kräften, die sich an ihnen mühen, die Betrachtungsweisen sein können, es ist klar, dass unter den aus ihnen sich ergebenden Eintheilungen nur eine in jedem Falle die berechtigte sein wird, jene nämlich, die in dem Wesen des Objectes liegt, alle andern aber sich zu ihr nur annähernd

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verhalten werden, dass somit jene eine als die natürliche den übrigen als künstlichen entgegensteht. Wenn diese Erkenntniss vorzüglich von den exacten Wissenschaften befolgt wird, von denen jene Benennung entlehnt ist, so gilt sie doch nicht minder für alle historischen Erscheinungen. Gäbe es eine Tradition von solcher Treue und Vollständigkeit, dass sie das Geschehen und Werden selbst uns vor Augen stellte, so fiele ihre Kenntniss mit dem Ziel aller geschichtlichen Forschung zusammen, aber wir kennen nicht einmal alles Gewordene, und die geschichtliche Continuität ist selbst für den gleichzeitigen Forscher oder mithandelnden Augenzeugen nur eine ewige Zerstückelung. Die chronologische Anordnung ist gewiss für jeden historischen Gegenstand eine erste natürliche Forderung, aber selbst wo sie sich in vollem Masse erreichen lässt, ist sie nicht das natürliche System desselben, weil auf diesem Gebiete nichts unabhängig und einflusslos dasteht, noch ein einfacher Faden von dem Früheren zum Späteren fortleitet, sondern Alles sichtbar und unsichtbar mit einander zusammenhängt und nichts ohne Gefahr sein Wesen einzubüssen aus dem grossen Verbande sich ablösen lässt. Jene Anordnung ist also nur der erste Schritt und wie häufig schon ein behinderter. Es fallen darum auch die historischen Objecte unter dieselben Methoden und Gesetze, denen das Empirische sowohl wie das Gedachte unterliegt. Daraus ergiebt sich aber auch die Nothwendigkeit einer systematischen Betrachtung derselben und des Hinstrebens aller künstlichen Versuche zu ihrer wesentlichen Natur. Dies natürliche System derselben kann nur der Schlussstein aller Bemühungen sein, aber es verdient auch der Zielpunkt derselben zu werden. Damit die erforderliche Vertiefung nicht beeinträchtigt werde durch gleichzeitige Ausbreitung in den Umfang, ist zunächst mit dieser zu beginnen, da sie jener die vorläufigen Grenzen zeichnet. Bis dahin haben alle Eintheilungen nur einen bedingten, partiellen Werth als Resultate einseitiger Betrachtung, aber auch ihren Nutzen, namentlich in didaktischer Hinsicht.

Finden diese Sätze ihre Anwendung auf das römische Priesterthum, so kann es nicht entgeben, dass sowohl eine

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