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Uebrigens verbanden diese römischen Landstraßen viele große Vortheile. Sie waren kurz, weil sie so grade als möglich gelegt wurden; bequem, weil die flachen Steine weder das Fuhrwerk stoßen, noch Fuß oder Huf verlchen, oder straucheln machen; sie leiden nicht vom Regen, weil dieser vom glatten Pflaster ab= läuft und ihre Dauer beweiset ihre Festigkeit.

Auf einer Spazierfahrt auf dem Wege nach Pa= lestrina (dem ehemaligen Pråncste, einer der åltesten und berühmtesten Städte von Latium) stieg ich aus mit dem Herrn Fea, italienischem Ueberseßer von Winkelmann, und besah die Trümmer der Villa des Kaisers Antoninus Pius. Von überirdischen Mauern ist wenig übrig geblieben, aber Terraffen mit ihren großen Substructionen beweisen den Umfang, welchen diese Villa hatte. Ich sah hier eine weite Aussicht; vor mir Velletri (das ehemalige Velitrå, eine alte Stadt der Volsker), weiter hinten Cora (gleichfalls eine alte volskische Stadt), auf ansehnlicher Berge Abhang, rechts eine große Strecke der pontinischen Sümpfe, und am Ende des Horizonts das hohe Vorgebürge der Circe (oder Kirke). Ich freucte mich nicht wenig, Homerisches Land zu sehen.

Homer nennt dieses Vorgebürge eine Insel, es sei nun, daß die pontinischen Sümpfe in jener alten Zeit von der jeßigen Landseite diesen Berg abschnitten, oder daß Homer vom Meere aus ihn für eine Insel

angesehen habe. *) Cluver, ein so guter als fleißiger Forscher, sagt (Cluver. Ital. antiq.), daß der Berg sowohl von der Seite des Meeres als des Landes eine Insel scheine. Auch ich würde ihn, von dem Orte wo ich stand, für eine Insel gehalten haben. Er erschien mir ungefähr so, doch höher, wie ich aus Pisa die Insel Gorgone gesehen habe.

Die Villa des Antoninus Pius stand nahe bei der alten lateinischen Stadt Lanuvium, dem Geburtsorte dieses Kaisers, und noch näher am Tempel und Hain der Iuno sospita, deren Livius und andre Schriftsteller gedenken. Schon im vierten Jahrhun= dert nach Erbauung Rom's muß dieser Tempel berühmt gewesen seyn, da die Römer, als sie den Lanuvinern das Bürgerrecht gaben, sich gemeinschaftlichen Gebrauch des Tempels und des Haines ausbedungen. (Tit. Liv. VIII. c. 14.) Die Substructio= nen des Tempels sind noch sichtbar. Als ich in's Städtchen Lanuvium, welches jest cività Lavina ge= nannt wird, hinein trat, zeigte mir Herr Fea in einem geringen Hause Ueberreste von zwei schönen Säulen,

*) ̓Αιάτην δ ̓ ἐς νῆσον ἀφικόμεθ ̓ ἔνθα δ' έναιε Κίρκη ἐϋπλόκαμος, δεινὴ θεὸς, αυδήεσσα.

Oμ. Od. K. 135. 36.

Drauf zur Insel Aeåa gelangten wir, welche bewohnte
Kirke die schöngelockte, die hehre melodische Göttinn.
Voß Uebers. der Odyss. X. 135. 36.

welche jezt einen Keller stüßen, und vermuthlich ehemals zum Tempel der Juno gehörten.

Der neue Name dieser Stadt verleitet manche, felbft italienische Antiquare, zu einem lächerlichen Irrthum. Sie verwechseln dieses Lanuvium mit Lavinium, welches dicht am Meere lag, da hingegen Lanuvium bei zwei deutschen Meilen vom Meer entfernt liegt. Irrthum auf Irrthum gründend, wähnen sie, das Meer, welches wirklich dem Lande ansehnliche Striche eingeräumet, habe ehemals diese Stadt angespült. An einem eisernen Ring in der Mauer eines Hauses solt, ihrer Meinung nach, Aeneas, als er gelandet, sein Schiff befestiget haben.

Bei La Riccia sah ich heute einen blühenden Mandelbaum. Welches Clima!

Siebenter Theil.

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Vier und funfzigster Brief.

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Rom, den 21sten Januar 1792.

Ich habe das berühmte Gemålde von Rafael, die Verklärung Christi, in der Kirche San Pietro in Montorio gesehen. Auf seine Stärke sich verlassend, wagte, der große Mann eine Kühnheit, welche vielleicht nur Er wagen durfte; oder vielmehr, er beging, wohl wiffend, was er that, einen Fehler, sicher, ihn durch die Schönheit der Gedanken und der Darstellung vergessen zu machen.

Ein Geist, wie Rafael, will nicht Verzeihung verdienen; er will Verzeihung, mehr als Verzeihung, er will Bewundrung erzwingen, selbst wenn er vorseßlich fehlt, wie nur er fehlen darf, und es gelingt ihm!

Eigenthümlich ist das Gelingen dem Genie. Ras fael zeigt uns Christus hoch in Strahlen; unter ihm schweben Elias und Moses über der Höhe des Berges; Johannes, Jacobus und Petrus liegen in Entzückung auf dem Gipfel, und unten am Berge ist der Beseffene, aus welchem die übrigen Jünger unsers Herrn, während Er auf dem Berge war, den Teufel zu treiben nicht vermochten.

Welcher Standpunkt läßt sich denken, aus dem wir zugleich alle diese Personen, und mit deutlicher Physiognomie der Gesichter, sehen könnten? Zu dies sem gerechten Vorwurf läßt Rafael uns nicht Zeit; sein Zauber reißet uns hin, Schrecken ergreift uns bei'm Anblick des Beseffenen; wir theilen die Verles genheit der Jünger, den Antheil der Zuschauer, das ångstliche Forschen im entflammten Vaterauge, ob diese Månner seinem Sohne helfen können, den Fammer der Mutter und der Schwester; unser geschreckter Blick irret umher, wir sehen hinauf, wir werden entzückt mit den Jüngern, wir erheben uns mit den aufwärts strebenden beiden großen Sehern der alten Vorzeit, um näher zu kommen Dem, der mit menschlichem Leibe in umstrahlenden Himmelsglanze als in Šeinem Elemente schwebet, mit unaussprechlicher Hoheit und Liebe schwebet, mit empor eilender Andacht, mit hinab auf die Erde thauender Huld und Gnade!

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Tadel, wo ist dein Stachel? Kritik, wo ist dein Sieg?

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