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ziehen und richtete dann an den König Pandrasus ein Schreiben, in dem er ihn als Führer der Trojaner bat, diese freizugeben und ihnen, die einem wohlbehaglichen Leben in Knechtschaft ein hartes Leben in Freiheit vorzögen, zu erlauben, unbehelligt in seinem Königreich zu wohnen, oder aber zu gestatten, nach fremden Ländern auszuwandern.

Pandrasus wollte von einer Freilassung der Trojaner nichts hören, und so nahm Brutus den Kampf mit ihm auf. Als er in einem der ersten Treffen, aus denen er immer als 'Sieger hervorging, die Brüder des Königs, Antigonus und Anacletus, gefangen genommen hatte, zwang er sie, ihm bei einer Kriegslist behilflich zu sein, die zur Gefangennahme des Griechen führte.

Der siegreiche Brutus ließ nun die Ältesten seines Volkes zusammenrufen, um mit ihnen zu beraten, was mit 'Pandrasus zu geschehen habe. Im Rat wurden verschiedene Meinungen vertreten. Die einen wollten vom König verlangen, daß er einen Teil seines Reiches abtrete, die andern, daß er ihnen erlaube auszuwandern. Als man im Zweifel war, welcher Vorschlag der bessere sei, meldete sich ein Mann mit Namen Mempricius. Bei lautloser Stille setzte er auseinander, daß sie auswandern müßten. Wenn man im griechischen Reiche bleibe, so hätten ihre Nachkommen stets den Haß der Griechen zu ertragen und ihre Rache zu fürchten. Er sei der Meinung, man solle den König auffordern, seine Tochter Ignogen ihrem Führer Brutus zur Frau zu geben und ihnen Silber und Gold, Getreide und Schiffe, und was man etwa zu einer Reise brauche, zur Verfügung zu stellen, dann wollten sie sich aufmachen, um neue Wohnsitze zu suchen.

Alle waren mit Mempricius einverstanden und verlangten, daß man Pandrasus vorführe. Als die Trojaner ihm klar machten, wessen er sich zu versehen habe, wenn er ihre Forderungen zurückweise, gab er nach. Die Götter seien ihm ungünstig gesinnt und hätten seinen Bruder in ihre Hände gegeben. Er müsse sich ihren Vorschriften fügen. Ein Trost bleibe ihm; er freue sich, seine Tochter einem Jüngling von so hervorragender Tapferkeit und so erlesener Abstammung anvertrauen zu dürfen. Er versprach auch, ihnen die Auswanderung zu gestatten und verpflichtete sich zur Lieferung von Gold, Silber, Schiffen, Getreide, Wein und Öl. Er wollte als Geisel in ihrer Mitte bleiben, bis er seinen Verpflichtungen nachgekommen sei. Bald feierte Brutus seine Vermählung mit Ignogen. Unterdessen fuhren an den griechischen Küsten die Schiffe zusammen. Schließlich waren 324 Fahrzeuge versammelt, und nachdem diese genügend ausgerüstet worden waren, fand die Abfahrt statt. Ignogen wurde der Abschied sehr schwer. Solange noch griechisches Land zu sehen war, stand sie auf dem erhabenen Hinterteil des Schiffes und beklagte ihre Trennung von Eltern und Heimat. Weder die lieben Worte ihres Gatten, noch seine zärtlichen Umarmungen brachten ihr Trost. Schließlich erbarmte sich ihrer der Schlaf.

Vom Winde begünstigt, landeten die Trojaner nach einer zweitägigen Fahrt an der Insel Leogicea. Diese war seit langem von Seeräubern ausgeplündert und verheert worden, die Bewohner waren fort. Brutus schickte 300 Bewaffnete aus, sie sollten erkunden, wer hier wohne. Kein Mensch weit und breit. In den Wäldern jedoch lebten viele Tiere, auf die die Botschafter Jagd machten.

Schließlich kamen sie zu einer verlassenen Stadt, in der ein Dianatempel stand. Darin war ein Bildnis der Göttin, das jedem, der es ansprach und um Auskunft bat, antwortete. Nachdem die Botschafter die Insel durchstreift hatten, kehrten sie mit ihrer Jagdbeute zu den Schiffen zurück, erzählten von der Lage der Insel und jener Stadt und rieten ihrem Führer, den Tempel der Göttin zu besuchen, Opfer darzubieten und die Gottheit über das zukünftige Vaterland zu befragen. Alle waren einverstanden. Brutus versah sich mit den nötigen Opfergaben und begab sich mit zwölf Ältesten und seinem Auguren Gerio nach dem Tempel. Brutus, der ein Opfergefäß in seiner Rechten hielt, das mit Wein und dem Blut einer weißen Hindin gefüllt war, trat erhobenen Hauptes vor den Altar der Diana und sprach das Bildnis an. Er bat die Göttin, die Herrscherin über Wälder und Tiere, die sowohl die Höhen des Himmels durchstreife als die Gefilde der Unterwelt, ihm zu offenbaren, welches Land sie nach göttlichem Ratschluß bewohnen sollten, ihm den Ort zu nennen, wo er sie in alle Zukunft ehren und ihr Tempel bauen könne. Als er die Frage neunmal gestellt hatte, umschritt er den Altar viermal und goß Wein auf den Herd. Hierauf legte er sich auf dem Fell der Hindin, das er vor dem Altar ausgebreitet hatte, nieder und schlummerte ein. Da sah er um die dritte Stunde der Nacht, da süßer Schlummer die Sterblichen umfängt, die Göttin vor sich stehen. ,,Brutus", sagte sie,,,gen Sonnenuntergang jenseits der gallischen Reiche, liegt eine Insel im Meer, die auf allen Seiten von den Fluten umfangen, eine Insel, die einst die Giganten bewohnten, öd' ist sie jetzt, für deine Völker geschaffen. Eile dorthin, denn sie wird dein

Vaterland werden. Hier erstehe ein neues Troja den Deinen, aus deinem Geschlecht werden einst Könige kommen, und ihnen wird der ganze Erdkreis gehorchen.

(Diva potens nemorum, terror silvestribus apris:
Cui licet amfractus ire per aethereos,
Infernasque domos: terrestria jura resolve
Et dic, quas terras nos habitare velis?

Dic certam sedem, qua te venerabor in aevum,
Qua tibi virgineis dedico templa choris?
Brute, sub occasu solis trans Gallica regna.
Insula in Oceano est undique clausa mari:
Insula in Oceano est habitata Gygantibus olim,
Nunc deserta quidem: gentibus apta tuis.
Hanc pete, namque tibi sedes erit illa perennis:
Hic fiet natis altera Troja tuis:

Hic de prole tua reges nascentur: et ipsis
Totius terrae subditus orbis erit.)

(lib. 1, cap. 11.)

Als Brutus nach der Vision erwachte, war er im Zweifel, ob er geträumt, oder ob ihm die Göttin wirklich von dem Lande gesprochen habe, das er zu erreichen bestimmt war. Er rief seine Begleiter zusammen und erzählte ihnen den Vorfall. Sie wurden von einer großen Freude erfaßt und rieten, sogleich nach den Schiffen zurückzukehren und weiterzusegeln, sobald der Wind es erlaube, um das Land zu suchen, das ihnen die Göttin verheißen. Bald nachher furchten die Kiele die Fluten. Nach einer Fahrt von 30 Tagen kamen sie nach Afrika. Noch wußten sie nicht, wohin ihre Schiffe sie trugen. Schließlich steuerten sie nach Mauritanien.^ Wegen Mangel an Speise und Trank waren sie ge

4. . . et venerunt ad Africam: nescii adhuc quorsum proras verterent. Deinde venerunt ad aras Philenorum, et ad locum Salinarum et navigaverunt intra Ruscicadam et montes Azarae, ubi ab incursione piratarum maximum passi sunt periculum.

zwungen, an Land zu gehen. Später gelangten sie zu den Säulen des Herkules, wo sie Sirenen antrafen, die ihnen beinahe verhängnisvoll geworden wären. Dann durchfuhren sie die tyrrhenische Flut und trafen an deren Gestaden Nachkommen ausgewanderter Trojaner, die den Antenor auf seiner Flucht begleitet hatten. Ihr Führer hieß Corineus. Er war ein Mann von gewaltigem Wuchs und großer Kühnheit. Als er erfuhr, daß die Seefahrer Trojaner wären, schloß er sich mit seinem Volk, dessen Herrscher er war, diesen Stammesverwandten an und stand in den fernern Kämpfen Brutus treu zur Seite.

Endlich kamen sie nach Aquitanien und warfen die Anker aus bei der Mündung der Loire (... ostium Ligeris ingressi). Sie verweilten hier sieben Tage und erforschten die Gegend. Damals herrschte in Aquitanien der Piktenkönig Goffarius (Goffarius Pictus). Als dieser hörte, daß ein fremdes Volk mit einer großen Flotte an den Küsten seines Reiches gelandet war, schickte er Gesandte hin, um zu erfahren, mit was für Absichten sie gekommen waren. Die Boten stießen auf Corineus, der mit 2000 Männern die Schiffe bereits verlassen hatte, um in den Wäldern zu jagen. Nun wollten sie von ihm wissen, mit wessen Erlaubnis er in die Jagdgründe ihres Königs eingedrungen sei. Einem alten Erlaß zufolge dürfe niemand ohne königliche Einwilligung jagen. Corineus antwortete, er brauche keine Erlaubnis; da ging einer der Gesandten auf ihn los und schoß einen Pfeil nach ihm. Corineus wich aus, eilte rasch auf den Angreifer, der den Namen Imbertus trug, zu und schlug ihm mit dem Bogen den Schädel ein. Nun suchten die andern das Weite und meldeten ihrem König den Tot

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