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Die Gründungssage von Caistor-near-Yarmouth wird uns überliefert in der Historia Regis Waldei des Thetforder Mönches Johannes Bramis.140 Dieser Roman, der um 1400 anzusetzen ist, ist auf zwei poetische Fassungen zurückzuführen, eine anglonormannische aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts und eine englische, die erheblich später zu datieren ist. Auf den Roman hat die nationale englische Vergangenheit wenig eingewirkt. Es handelt sich eben um eine rein literarische Schöpfung eines Anglonormannen, was schon daraus erhellt, daß erstens Geoffreys Historia Regum Britanniae für den Aufbau Vorbild gewesen ist Geoffrey hat ja besonders bei den Anglonormannen fruchtbar gewirkt und daß der Roman des Wace, wahrscheinlich die so wichtige verlorene Version, zu den Hauptquellen des Romans gehört. Geoffreys Einfluß ist wohl auch darin zu er kennen, daß im Roman, der die Geschichte Norfolks von Cäsars Zeiten bis auf die Dynastie der Atlynge erzählt, Gründungssagen vorgetragen werden; inwieweit diese auf volkstümliche Traditionen zurückzuführen sind, ist gerade wie bei der Sage vom Fischer Grim sehr schwer zu entscheiden. Über die Gründung von Caistor wird folgendermaßen berichtet:

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Als Cäsar, wie im Brut" ausführlich geschildert wird, Britannien der römischen Herrschaft unterworfen hatte, setzte er einen römischen König über das Land, der seinen Verwandten namens Castor zum Herrscher von Norfolk ernennt. Dieser durchzog sein Reich und freute sich über dessen natürlichen Reichtum, baute aber

140 Vgl. Johannes Bramis' Historia Regis Waldei, ed. Rudolf Imelmann, Bonner Studien zur englischen Philologie, Heft 4,

Bonn 1912.

zum Schutz gegen Feinde mächtige Städte und starke Burgen. Da die Gegend bei Yarmouth feindlichen Einfällen besonders ausgesetzt war, sammelte er große Scharen von Steinbrechern und Zimmerleuten und befahl ihnen, in aller Eile eine gewaltige Stadt mit Mauern und Türmen zu bauen. Diese nannte er dann nach seinem eigenen Namen Castoria, später wurde sie Castre geheißen.141 Ob die Sage wirklich auf Volkstradition beruht, ist fraglich. Interessant ist es, daß die Sage, die in der Literatur keine große Verbreitung gefunden hat, einen Römer als Gründer nennt. Man wird dieser Tatsache allerdings keinen großen Wert beimessen dürfen.

IV. Allgemeine Betrachtungen zu den Städte-
gründungssagen.

Allgemeine Betrachtungen.

Im,,Bellum Gallicum" macht Cäsar folgende Aussage über die britischen Städte: ,,Stadt nennen die Britannier solche unwegsame Waldungen, durch Wälle und Gräben befestigt, wohin sie sich gegen einen feindlichen Überfall zu flüchten pflegen." Wenn wir Cäsar trauen dürfen und die Briten wirklich schwer zugängliche Zufluchtsorte Stadt nannten, dann verstanden sie unter dieser Bezeichnung etwas ganz anderes als die heutigen Menschen. Unter Städten verstehen wir heute die Mittelpunkte des Handels, der Industrie und der Kultur. Hatten die Briten wirklich keine Städte im modernen oder mittelalterlichen Sinne? Kemble 142 bejaht

141 Vgl. op. cit., pag. 15 ff.

142 Vgl. John Mitchell Kemble: Die Sachsen in England; übersetzt von H. B. Chr. Brandes, Leipzig 1853/4, vol. 2, pag. 233.

die Frage. Und zwar mit Recht. Es stimme mit der Erfahrung nicht überein, schreibt er, daß ein dichtbevölkertes und friedliches Land lange der Städte entbehrt haben sollte. Ein Handelsvolk besitze immer einige bestimmte. Orte für den Zusammenfluß und Austausch von Bequemlichkeiten und feste Niederlassungen zum Zweck geordneter Handelsbeziehungen. Cäsar selbst erzähle, daß die Gebäude der Briten sehr zahlreich gewesen, und daß sie denen der Gallier wesentlich geglichen hätten. Und wenn man weniger als 80 Jahre nach der Rückkehr der Römer nach Britannien und kaum 40 Jahre nach der vollständigen Unterjochung der Insel durch Agricola Ptolemäos von mindestens 56 Städten erzähle, so könne man vernünftigerweise den Schluß ziehen, daß sie nicht alle den Bemühungen der römischen Zivilisation ihre Entstehung verdankten. Es ist jedoch sicher, daß manche von den 34 Städten, die ,,Nennius" mit Stolz erwähnt, römischen Ursprungs ist. Die Römer sind die wichtigsten Städtebauer Britanniens gewesen. Durch ihre Kultur und ihr Besatzungssystem waren sie zum Städtebau gezwungen.

Nun wissen wir, daß Geoffrey in seiner Historia die wichtigsten Städte, London, York, Bath, Winchester, Leicester, Caerleon u. a., als britische Gründungen ausgibt. Nur die Gründung Gloucesters schreibt er den Römern zu, und nur von zwei Städten, von Caerleon und Southampton, erzählt er, daß sie zwar nicht von den Römern gebaut worden seien, aber daß sie ihnen ihren Namen verdankten. Da sein Brutus ein Römer und dessen Genossen Trojaner, also Angehörige zivilisierter Völker waren, konnte er nach mittelalterlichen Begriffen wohl erzählen, daß die alten Briten Städte

gebaut hätten. Er mutete mittelalterlichen Lesern nichts Unmögliches zu. Warum aber schreibt er denn die Gründungen den Briten zu, kannte er irgendwelche Traditionen? Diejenigen, die da glauben, daß Geoffrey seine Historia selbst mit Hilfe der Bibel und des ,,Nennius" geschaffen habe, werden sagen, es sei geschehen zur Verherrlichung der Briten. Wenn Geoffrey die Sagen alle selbst erfunden hat, bei „Nennius" wird ja nur der Gründer von Gloucester, Glovus, erwähnt, warum nennt er dann doch auch Städte wie Cirecestria, Exonia, Silcestria, Porcestria, Lindecolinum, ohne deren Gründung zu gedenken, warum erzählt er vom Herzog Coel, ohne zu sagen, daß er der Gründer von Colecestria ist? Macht die Tatsache, daß man in der Auswahl der Sagen kein System erkennen kann, nicht stutzig? Wäre ein ,,Fälscher" nicht anders vorgegangen? Warum nimmt sich Geoffrey die Mühe, von einem jüngern und einem ältern Leir zu sprechen 143, und warum erwähnt er bei der Gründungssage von Gloucester verschiedene Versionen, warum begnügt er sich nicht mit dem nennianischen Glovus? Wenn man sagt, Geoffrey habe ganz einfach aus einzelnen Städtenamen Gründer erschlossen, so muß man auch die Frage beantworten, warum er einen Hudibras zum Gründer von Guintonia, Sefovia und Cantuaria gemacht hat. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Geoffrey wirklich pseudo-gelehrte Traditionen gekannt hat; warum nicht durch das Medium der von ihm zitierten Quelle ?

Der Grund, warum gewisse Britenkönige zu Städtegründern wurden, ist meist leicht zu erkennen. Geof

143 Den Vorwurf, Geoffrey sei sehr vergeßlich, wird wohl niemand ernst nehmen.

Matter, Englische Gründungssagen von Geoffrey of Monmouth. 25

frey war ja der Anschauung, daß die Gründer die Städte nach sich selbst benannten, d. h. aus dem Namen der Stadt war der ihres Gründers zu erschließen. Leir war der Erbauer von Kaer-Leir oder Legecestria, Ebraucus der von Eboracum, Bladud der von Bath. Daß man den Stammvater der Briten, Brutus, zum Gründer der Trojanerstadt London machte, versteht sich von selbst. Unklar aber ist es, warum Hudibras und Belin unter den Gründern figurieren. Sie sind nicht erschlossen wor den, und wenn ihnen nachträglich Städtegründungen zugeschrieben wurden, so kann der Grund nicht in einer Namensähnlichkeit liegen. Wir haben schon bei der Betrachtung der Sage von Caerleon darauf hingewiesen.

Die Städtegründungssagen Geoffreys sind im Mittelalter immer und immer wieder vorgetragen worden. Da aber den Chronisten nur Handschriften zur Verfügung standen, finden sich viele Abweichungen. Bald ist ein Name verlesen, bald mit einem andern verwechselt worden, an die Stelle des Vaters tritt der Sohn und umgekehrt. Oft kommt es auch vor, daß verschiedene Britenkönige als Gründer derselben Orte genannt werden. Es hätte keinen Sinn, diese Abweichungen alle aufzuzählen, zumal sie ja meist bloß auf Verwechslungen beruhen. Zwei Beispiele mögen zeigen, wie einzelne Städte zu ihren Gründern gekommen sind. 1. Im Chronicon des Johannes Bromton 146 gilt der Britenkönig Cassibelianus als Gründer von Shaftesbury. Vermutlich ist diese Behauptung auf folgende Weise zu erklären. Belin war nach Geoffrey der Gründer von Caerlon, von Urbs Le

146 Vgl. Twysden, Scriptores, 875: Schaftesbiry deducitur, quae temporibus Britonum Paladur vocabatur, et a Cassibeliano rege aedificata magnae sinositatis erat civitas.

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