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wäre; zudem fand diese Sage nicht wie diejenige Geoffreys eine Stütze im Namen der Stadt. Das ganze Mittelalter hindurch galt London als Gründung des Brutas. Jeder Chronist, der in seinem Werke einen Abriß der Britengeschichte bot, erwähnt diese Gründung. Jeder Dichter, der das Lob der Stadt sang, spricht sie an als das Neue Troja. Die wenigsten jedoch wissen mehr als Geoffrey zu erzählen. Die meisten begnügen sich damit. zu sagen, daß Brutus die Stadt gegründet habe, und daß sie sehr alt sei. Interessant sind die Betrachtungen, die der Verfasser der Vita des heiligen Thomas, Willel mus filius Stephani, angestellt hat. Er schreibt ein extra Kapitel über die vornehme Stadt London, die älter ist als die Weltstadt Rom. Er sucht in der städtischen Verwaltung und im politischen Leben nach Parallelen. Die Stadt nahm einen glänzenden Aufschwung, wie die Göttin Diana ja prophezeit hatte.53 Gervasius von Tilbury leistet sich die Bemerkung, Brutus habe auf Anraten der Venus die Stadt gegründet, denn sie sei wegen des Urteils des Paris den Trojanern günstig gesinnt gewesen. Die Chronisten sind des Lobes voll über die Stadt, die nur einen Fehler hat nach den Worten eines Chronisten, die Einwohner trinken zu viel, und dann hat sie wegen der vielen Feuersbrünste sehr zu leiden.

In einzelnen Werken wird der Stadt auch ein anderer Name beigelegt. So heißt es in dem Roman über Arthur, lange nach Brutus sei ein König namens Locrin gekommen, der habe die Stadt verbessert und

53 Vgl. Materials for the history of Thomas Becket, archbishop of Canterbury. Ed. James Craigie Robertsson, vol. 3, London 1877, pag. 8 ff.

54 Pag. 424.

sie nach sich Logres geheißen.55 Es scheint hier eine Verwechslung vorzuliegen; wenn London als Logres erscheint, so ist wohl eine Erinnerung an Loegria, den Landesteil vorhanden, von dem Geoffrey erzählt, daß er an Locrin, des Brutus ältesten Sohn, gefallen sei. Einen andern Namen gibt der Verfasser einer mittelenglischen Chronik aus dem 14. Jahrhundert.56 Schon bei Betrachtung der Verbreitung der Hengistsage ist festgestellt worden, daß er in der Reihe der britischen Könige einen Eroberer Hengist nennt, der sich England, Schottland und Wales unterworfen hat. Dieser Hengist befahl, daß man London Hingisttoun nenne; vorher habe es Ludderburch geheißen. Als dann später Cäsar die Stadt eroberte, nannte er sie London. Wie Logres, so ist auch die Bezeichnung Hengiststadt nicht. durchgedrungen; diese Namen dürfen nicht zum Ausgangspunkt kühner Spekulationen gemacht werden. Das Hingisttoun ist vielleicht einfach so zu erklären, daß Hengist mit Stonehenge in Verbindung gebracht worden. ist und dann ein mutmaßliches Hengiston als Hengisttoun gelesen wurde. Es ist sehr begreiflich, daß man darunter die wichtigste Stadt verstanden hat.

Die meisten Chronisten stellen sich die Stadt, wenn sie von ihr erzählen, als ein richtig mittelalterliches

55 Vgl. Le Morte Darthur, ed. Sommer, vol. 3, pag. 44: and longe tyme after the dethe of this Brutus com anothir kynge in to this londe / that hght loigryns/ this logryn amended gretly the Citee and made towres and stronge walles enbateiled and whan he hadde thus ame(n)ded it he chaunged the name and cleped it logres in breteigne. for that his name was logryn and this name dured in to the deth of Kynge Arthur.

56 Vgl. Sternberg: Über eine versifizierte mittelenglische Chronik, Englische Studien 18, pag. 374.

57 Loc. cit.

Matter, Englische Gründungssagen von Geoffrey of Monmouth.

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Gebilde vor. Obgleich wiederholt die Meinung ausge sprochen wird, S. Paul's sei von König Ethelbright oder von Sebert gebaut worden, so treffen wir doch auch die Auffassung, als ob die Kirche schon zu des Brutus Zeiten gestanden habe. Im Débat des hérauts 58 wird erzählt, Brutus sei in Powles begraben, und die Legende vom Bischof Erkenwald bringt S. Paul mit einem Heidentempel in Verbindung. Sie erzählt, man habe beim Neubau von S. Paul's, des alten Heidentempels Triapolitan zu London, ein wundervolles Grab aufge funden. Der Maire habe dieses öffnen lassen, worauf ein Leichnam zum Vorschein gekommen sei. Man habe die Sache dem Bischof Erkenwald mitgeteilt, und dieser habe den Leichnam im Namen Christi sprechen machen. Er war einst unter König Belin, 482 Jahre nach der Erbauung der Stadt durch Brutus im Jahre 1033 v. Christi Geburt, königlicher Richter gewesen. Weil er sehr gerecht war, habe ihn das Volk geehrt; er kann aber nicht zerfallen, weil er nicht getauft ist. Erkenwald tauft ihn und verhilft ihm in den Himmel.59 Wenn nicht öfter von S. Paul's als einer alten Gründung die Rede ist, so ist wohl daran das Zeugnis des Beda schuld, der die Erbauung der Kirche dem König Ethelbright zugeschrieben hatte. Trotzdem nehmen Waurin in seinem Recueil und der Morte Darthure an, daß die Kirche schon stand zur Zeit Arthurs, in dem der erstere Vortimer, Vortigerns Sohn, hier begraben sein läßt und in letzterem die Rede davon ist, daß die Krönung Arthurs in S. Paul's stattgefunden haben könnte.

58 Pag. 69.

59 Vgl. C. Horstmann: Altenglische Legenden, N. F. Heilbronn 1881, pag. 265 ff.

Es ist typisch für das Mittelalter, daß es sich neben der Gründung der Stadt überhaupt speziell für die Gründungen der großen Kirchen interessierte. Es wird nicht nur oft von S. Paul's gesprochen, sondern auch von S. Peter's Westminster. Mit Brutus konnten natürlich die Schriftsteller, die überhaupt etwas dachten, die Kirchen nicht in Verbindung bringen. Wie sollten denn die christlichen Kirchen vor Christi Geburt gegründet worden sein? Die meisten nehmen aber eben an, daß es sich ursprünglich um heidnische Tempel gehandelt habe, an deren Stelle dann die christlichen Kirchen getreten seien, ein Gedanke, der an sich richtig ist.60 Noch im 18. Jahrhundert scheint die Meinung vertreten worden zu sein, daß S. Peter ursprünglich nicht lange nach Christi Tod von Petrus, oder aber von König Lucius im Jahre 170 gegründet worden sei.61 Diejenige Legende, die die größte Verbreitung gefunden hat, kennt die Gestalt des Apostels auch, sie verlegt aber die Gründung nicht in die Zeit unmittelbar nach Christi Tod, sondern berichtet, daß König Sebert die Kirche gebaut habe. Die schon so oft erwähnte mittelenglische Chronik aus dem 14. Jahrhundert erzählt darüber folgendes 62: König Sebert baut zu Ehren von Christus, Maria, Peter und Paul Westminster. Er bittet den Bischof Millit um die Einweihung. An einem Sonnabend wartet am Themsestrand ein armer Fischer auf die Flut, um Fische fangen zu können. Da ruft ihn vom andern Ufer ein Mann, der

60 Vgl.

die Gründungslegende des Großmünsters in Zürich.

61 Vgl. E. Hatton: A new view of London, London 1708, pag. 493: .. and as to its Foundation, some will have it that St. Peter here built a Christian Oratory not long after the Death of our Saviour.

62 Vgl. Sternberg, op. cit., pag. 379.

übergesetzt sein will. Nach der Überfahrt sagt er, der Fischer solle seine Rückkunft abwarten, Gott werde ihm einige Fische senden; er möge über nichts erschrecken. Er läßt ein Licht leuchten und bezeichnet Mauer und Boden. Dann ruft er den Fischer, frägt ihn nach seiner Beute und steigt ins Boot. Der Fischer erzählt, daß er nichts gefangen habe. Da heißt ihn der Mann sein Netz auf der rechten Seite auswerfen und beschwört dann Vater, Sohn und heiligen Geist, daß sie die Fische senden möchten. Es werden nun so viele gefangen, daß es schwer ist, ans Ufer zu gelangen. Den größten muß der Fischer dem Bischof Millit bringen und ihm sagen, Petrus habe das Münster schon geweiht. Er solle in der Kirche singen lassen und dem Volk des Petrus Segen geben. Der Fischer richtet den Auftrag aus. Dem König Sebert soll er sagen, daß im Himmel ein Sitz für ihn schon bereit sei. Von der Nachricht heißt die Stelle Chering (Charing-Croß?). Die Quelle dieser Erzählung ist ein lateinischer Traktat: De Dedicatione Ecclesiae Westmonasterii per beatum Petrum apostolum, Angelis eidem administrantibus, nocte Dominica 11, Kal. Aprilis, anno Domini VI C. IIII0.63 Dieselbe Geschichte erzählen Malmesbury (Gesta Pontificum), Ailred von Rievaux, die Vita S. Edwardi Regis und der Dichter der Estoire de Seint Aedward Le Rei.

Auch ein profanes Bauwerk hat das Interesse der Chronisten und Dichter auf sich gezogen; es ist der Tower. Die spätere Tradition, deren Anfänge nicht angegeben werden können, schreibt die Erbauung des Towers Julius Cäsar zu. Man nimmt gewöhnlich an,

63 Vgl. Hardy, Descript. Catalogue, 1, pag. 192, Nr. 537.

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