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stehen als das erhaltene englische Gedicht. U. E. ist der Schluß Bries nicht unbedingt nötig. Er, der beste Kenner der handschriftlichen Verhältnisse des Brut, gibt als ältestes Manuskript, das ihm bekannt geworden, an MS Bibliothèque Nationale Nr. 14, 640 (Bl. 25 b ff.), das nach seiner eigenen Angabe 393 ca. 1300 geschrieben worden ist. Kann da der Name nicht dem englischen Gedicht entnommen sein? Es ist ja nicht sicher, daß in der Vorlage des Brut, die uns nicht erhalten, der Name Birkebeyn stand. Er kann vom Schreiber hingesetzt wor den sein. Man vergleiche eine andere Handschrift des Brut 394, die etwa 50 Jahre später geschrieben ist. Sie erzählt die Episode genau gleich wie die erste, aber an Stelle der Argentille erscheint Goldeburgh.

Wir sind mit den Ausführungen über die Entstehung der Sage zu Ende. Ende. Sie gelten nur, wenn dem Havelok und dies nehmen fast alle neuern Forscher anwirklich Ereignisse des 10. Jahrhunderts zugrunde liegen, und wenn diese vor dem 12. Jahrhundert, vor dem Bekanntwerden Arthurs, zur Sage entwickelt worden sind. Obgleich viele Fragen offen gelassen sind, hoffen wir doch, daß der obige Abschnitt als eine Art Zusammenstellung seine Dienste tue.

Auf eine ästhetische Beurteilung der erhaltenen Havelokdichtungen verzichten wir, umsomehr, als über deren künstlerischen Wert schon genug geschrieben worden ist. Dagegen sei zum Schluß noch auf einen andern Umstand hingewiesen. Wir haben den ,,Havelok“ unter die Reichsgründungssagen aufgenommen; dazu ist man berechtigt, weil es sich im englischen Gedicht nicht

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nur wie in den anglonormannischen Fassungen um einen Teil der Insel handelt, sondern um die Begründung der Dänenherrschaft in ganz England. Man hat schon vermutet, bei der Entwicklung der Sage sei der Gedanke maßgebend gewesen, die Herrschaft der Dänen auf der Insel zu rechtfertigen.395 Ob dem in Wirklichkeit so ist, sei dahingestellt, es ist aber sehr wohl zu begreifen, daß diese Meinung ausgesprochen worden ist. In den Gedichten sowohl, als in den hin und wieder auftretenden Bemerkungen über Havelok findet sich der Gedanke, daß Havelok als Gemahl der rechtmäßigen Erbin der legitime Nachfolger sei.396 Wir finden deshalb die Bemerkung Schröers 397 merkwürdig: Havelok sei englischer Nationalheros geworden; daß er Däne sei, störe das nationale oder lokalpatriotische Interesse nicht, und zwar sei der Umstand, daß Havelok der Gatte der rechtmäßigen Thronerbin geworden, nicht maßgebend; erst nachdem er die Macht in Händen habe, lasse er sie holen und auch ihr huldigen.

3. Die Verbreitung der Sage.

Es ist interessant, daß die Haveloksage, die doch ursprünglich eine Lokalsage ist, sich zur Landessage

395 Wells: A manual of the writings in middle English, pag. 13: Possibly the early development of the story arose from concern of the Danes to justify their rule in the island.

396 Vgl. Skeat: Havelok, pag. 72 (v. 2538 ff.): And þat she, þat was so fayr, / þat was of engelond rith eir.; pag. 79 (v. 2767 ff.): þat þei wisten, heye and lawe, / þat Goldeboru, þat was so fayr, / Was of engeland rith eyr, / And þat þe king hire hauede wedded... Diese Auffassung konnte den Nachfolgern Knuts, der die Schwägerin Eduards des Märtyrers geheiratet hatte, sowie später den Normannen nicht unangenehm sein. Heinrich I. war der Gatte der Urenkelin Edmunds, des Bruders Eduard des Bekenners.

397 Grundzüge und Haupttypen der englischen Literaturge. schichte? Göschen I, 90.

Matter, Englische Gründungssagen von Geoffrey of Monmouth 18

entwickelt hat, und zwar, wie es scheint, zu einer Zeit, als die Dänenherrschaft schon lange der Vergangenheit angehörte. Dieser Umstand läßt auf ein starkes dänisches Element im nördlichen England schließen. Die Sage hat allerdings keine Verbreitung gefunden, die etwa mit derjenigen der Brutussage zu vergleichen wäre. Sie ist jedoch keineswegs unbedeutend. In demjenigen Werk, das über die literarische Verbreitung einer Sage eigentlich entschied, in Geoffreys Historia, war von Havelok nichts zu lesen. Aber die Sage wurde, wie wir wissen, mit der Britengeschichte in Verbindung gebracht, und da sie Gaimar in seine Estorie des Engleis aufnahm 398, war ihre Popularität dennoch gesichert. Aus Gaimar gelangte sie in den Wacetext, der die Vorlage für den anglonormannischen Brut bildete, der seinerseits wieder die Quelle des ungemein beliebten englischen Brute ist, der dann später von Caxton gedruckt wurde.

Im Folgenden werden wir sehen, inwiefern auch das englische Gedicht Anteil an der Verbreitung der Sage hat. Über diese Verbreitung haben sich geäußert Skeat in seiner Einleitung zum Text des englischen Gedichtes und Harald E. Heyman in seiner Dissertation.$99 Die wichtigste Arbeit ist jedoch die von Brie: Zum Fortleben der Haveloksage400, denn hier werden irrige Meinungen, die in frühern Werken vorgetragen worden sind, rektifiziert.

Der Brut erzählt die Geschichte Haveloks folgendermaßen 401 Zur Zeit des Königs Constantin gab es zwei

398 Sie ist wohl auch in der verlorenen Estorie des Bretons vorgebracht worden.

399 Studies on the Havelok-Tale.

400 Englische Studien 35,

pag. 359 ff.

401 Brie, pag. 362.

H

Könige in Britannien, der eine war der Däne Athelbryht, der Herrscher in ,,Nordfolk" und ,,Suthfolk', der andere der Brite Edelfy, der ,,Nichole" (Lincoln) und,,Lindeseye" besaß und alles Land bis zum Humber. Die beiden führten oft Krieg miteinander, sie versöhnten sich jedoch später und wurden sehr gute Freunde. Edelfy hatte eine Schwester namens Orwen, er gab sie Athelbryth zur Frau. Orwen schenkte ihrem Gatten ein Töchterchen, Argentille. Als Athelbryth einst schwer krank darniederlag und fühlte, daß er sterben müsse, ließ er seinen Bruder Edelfy zu sich kommen. Er bat ihn, für seine Tochter Argentille zu sorgen und sie später dem stärksten und tapfersten Manne, den er finden könne, zu vermählen und diesem ihr Reich zu übergeben. Edelfy schwor, daß er den letzten Wunsch seines Freundes erfüllen wolle. Als Athelbryth gestorben war, nahm Edelfy seine Tochter in sein Haus und ließ sie erziehen, und sie wurde das schönste Mädchen, das man finden konnte.

Der König Edelphi überlegte, wie er in den Besitz des Landes, das seiner Nichte gehörte, gelangen könnte; trotz seines Eides wollte er sie täuschen und betrügen. Er verheiratete sie mit einem Küchenjungen namens „Curran“, der der stärkste, größte und tapferste Mann seiner Zeit war. Er betrog sich jedoch selbst, denn dieser Curran war der Sohn des Königs Birkebeyn von Dänemark.402 Als König von Dänemark eroberte er das Reich seiner Gattin in Britannien und tötete ihren Onkel, den König Edelfy und beherrschte das ganze Land wie

402 Kar cesti Curran fu a hauelok fyz le Roy Birkebeyn ke puis fu Roy de denemarz; eine spätere Handschrift (Brie, pag. 363) hat richtiger: car cesti kuarran fust le fiz le Roi Birkebain de Denmarz qe feust puis Roi de Denmarz & appelle hauelok,

man anderswo in der Geschichte lesen kann. Er regierte nur drei 403 Jahre, denn Sachsen und Dänen töteten ihn, was ein großer Schaden war für Britannien. Die Briten trugen ihn nach Stonehenge und begruben ihn dort mit großen Ehren.404

Der Text stimmt im großen und ganzen zu Gaimar, der wahrscheinlich die Hauptquelle für die Episode gewesen ist. Zwei Züge erinnern an das englische Gedicht, die Szene am Totenbette Athelbryths und der Name Birkebeyn 405, andere sind nur dem Brut eigentümlich: Grim fehlt gänzlich, Athelbryth und Edelfy werden als ursprüngliche Feinde dargestellt, die sich dann miteinander aussöhnen 406, Havelok tötet den ungetreuen Edelfy, die Briten begraben Havelok, der von Dänen und Sachsen ermordet worden, in Stonehenge. Wir haben schon oben, als wir untersuchten, wie der Name Birkebeyn zu deuten sei, die Vermutung ausgesprochen, daß nicht alle Züge in der Vorlage des Brut, dem interpolierten Wace, gestanden haben. Die Darstellung von Haveloks Tod allerdings mag schon der Vorlage eigen gewesen sein. Sie erklärt sich aus der Einreihung der Episode in die Britengeschichte und stammt vermutlich aus der vorausgehenden Erzählung von Constantin.

Die Darstellung der Sage im Brut ist trotz der verschiedenen Änderungen als Version oder als Kunstwerk nicht wichtig; sehr bedeutsam ist sie jedoch für die Verbreitung der Sage geworden. Sie hat auch zu

403 Nach einem andern MS. 20.

404 Die vorliegende Inhaltsangabe ist keineswegs eine Übersetzung des französischen Textes.

405 Vgl. darüber die Bemerkungen im vorhergehenden Kapitel. 406 Brie sieht darin einen Anklang an die Geschichte von Edmund Irenside und Knut.

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