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Aen. I 60 fr.

Sed pater omnipotens speluncis abdidit atris
hoc metuens molemque et montis insuper altos
imposuit regemque dedit, qui foedere certo

et premere et laxas sciret dare iussus habenas.

Unnütz sind die Conjecturen iustus oder rursus (Peerlkamp) für iussus im V. 63. Um wie viel verdienstlicher und feiner ist die Bemerkung, die Servius macht: „iussus autem ob hoc posuit, quia suo nihil facit imperio. Nam tolle hoc, et maior est omnibus diis, si ad eius voluntatem possunt elementa confundi." Von iussus muss man nicht bloss sagen, dass es sich mehr auf laxas dare habenas als auf premere habenas bezieht (Ladewig), sondern man muss vielmehr behaupten, dass es sich lediglich auf die Worte, zwischen die es absichtlich eingefügt ist, bezieht, nämlich auf laxas dare habenas. Für das premere habenas bedurfte es keines speciellen Befehls; die Herrschaft des Aeolus wird ja vom Dichter ausdrücklich als eben im Bändigen und Zurückhalten der Winde bestehend bezeichnet. Vgl. z. B. 54 imperio premit ac vinclis et carcere frenat; dann 58 f., 141 clauso ventorum carcere regnet. Wenn also Aeolus keine besondere Weisung erhielt, so war es seine Pflicht, die Winde und Stürme im Gewahrsam zu halten. Bekam er aber foedere certo, was der Dichter freilich nicht genauer bestimmt, *) eine Weisung diesem oder jenem Wind laxas dare habenas, dann hatte er zu folgen.

Freilich lässt der Dichter, was das Verhältniss des Aeolus zu anderen Gottheiten betrifft, manches im Unklaren. Man fragt z. B., welchen Sinn und Grund die Worte des Aeolus haben sollen V. 78 ff.

tu mihi quodcumque hoc regni, tu sceptra Iovemque
concilias, tu das epulis accumbere divom

nimborumque facis tempestatumque potentem

und ferner, wie sich diese an die Juno gerichteten Worte des Aeolus zu den eigenen Worten der Juno verhalten V. 65 f.

*) Vgl. Weidner zu I, 62.

Aeole, namque tibi divom pater atque hominum rex

et mulcere dedit fluctus et tollere vento.

Man könnte auch fragen, warum sich Juno bei ihrer Bitte nicht gleich selbst darauf beruft, dass sie dem Aeolus von Jupiter die Herrschaft verschafft habe.

Was den Sinn und Grund von V. 78 ff. betrifft, so hält man sich an die Auffassung des Servius: „rediit ad physicam rationem. Nam motus aëris, i. e. Iunonis, ventos creat, quibus Aeolus praeest" (Vgl. besonders Weidner zu V. 77). Hiebei ist. dann wieder eine doppelte Möglichkeit. Entweder rührt diese physikalische Allegorie von Vergil selbst her, oder er hat sie von einem älteren Gewährsmann entlehnt. Man entscheidet sich nach Heyne's Vorgang gewöhnlich für das letztere. Mir scheint es vielmehr eine Erfindung Vergil's zu sein. Zugleich glaube ich aber wenigstens die Möglichkeit hervorheben zu dürfen, dass diese Erfindung Vergil's (dass Juno dem Aeolus zur Herrschaft verhalf) auch gar nicht jene physikalisch-allegorische Grundlage haben muss, die man nach Servius darin findet. Vergil kann diesen Zug auch nur ad hoc erfunden haben, weil er eben für den vorliegenden Fall ihm passte*). Und die Berechtigung dazu glaubte vielleicht der Dichter darin zu finden, dass Juno als regina divom gewissermassen an der Weltregierung Jupiters participiert.

Was aber das Verhältniss der Verse 78 ff. zu 65 f. betrifft, so antwortet man darauf wol mit Recht, dass conciliare (70) verschieden ist von dare (66).

Dass Juno sich auf ihre Verdienste um Aeolus nicht selbst beruft, steht in Übereinstimmung mit ihrem Auftreten als supplex (64); aber freilich sieht man nicht ein, warum sie der Dichter gerade so auftreten lässt, zumal da sie abgesehen von ihrem Verdienst um Aeolus demselben auch noch ein Geschenk anbietet.

*) So ist bei Vergil z. B. auch das eine absichtliche Abweichung vom Mythos (vgl. Hom. Od. × 5 ff.) und eine Fiction ad hoc, dass er den Aeolus chelos und kinderlos sein lässt; denn diese Voraussetzung ist nothwendig für V. 73, und die Versuche bei Servius, das Anerbieten der Juno in Einklang zu bringen mit dem gewöhnlichen Mythos, sind fruchtlos.

Aen. I 65 ff.

Aeole, namque tibi divom pater atque hominum rex
et mulcere dedit fluctus et tollere vento,
gens inimica mihi Tyrrhenum navigat aequor
Ilium in Italiam portans victosque penates:
incute vim ventis submersasque obrue puppis
aut age diversos et dissice corpora ponto.
Sunt mihi bis septem praestanti corpore Nymphae,
quarum quae forma pulcherrima, Deiopea,
conubio iungam stabili propriamque dicabo,
omnis ut tecum meritis pro talibus annos

exigat et pulchra faciat te prole parentem.

Mit dem Satze namque vento begründet Juno den Umstand, dass sie gerade an den Aeolus sich wendet. Man braucht aber hier nicht anzunehmen, dass dieser begründende Satz dem zu begründenden incute vim ventis vorausgeschickt ist *), so dass die prosaische Wortstellung wäre: Aeole, incute vim ventis; namque tibi divom pater cet. Vielmehr muss man sagen, dass schon der Vocativ Aeole einen ganzen Satz repräsentiert (Aeolus, dich rede ich an, an dich wende ich mich), und dass diese Anrede, die so zu sagen ein verkürzter Satz ist, sodann durch den Satz namque tibi begründet wird. Ich möchte ferner in dieser Wendung nicht mit Weidner einen Gräcismus finden, wie ich denn überhaupt glaube, dass man in der Annahme von Gräcismen etwas vorsichtiger sein sollte. Die vorliegende Construction ist zwar ebenso im Griechischen zu finden, aber man darf deshalb bei römischen Dichtern nicht sofort auf einen Gräcismus schliessen. Wenn man nämlich bedenkt, dass im Latein nam sich auch in guter Prosa auf einen ausgelassenen und zu ergänzenden Satz bezieht (wo doch gewiss ein Gräcismus nicht anzunehmen ist und auch nicht angenommen wird) **): so wird man doch mindestens

*) So scheint schon Servius die Construction aufgefasst zu haben. **) Vgl. Cic. Off. II 14 47 P. Rutilii adolescentiam ad opinionem et innocentiae et iuris scientiae P. Mucii commendavit domus. Nam L. quidem Crassus, cum esset admodum adolescens, non aliunde mutuatus est, sed sibi ipse peperit maximam laudem. ad fam. I 9 49 quod quoniam Kvíčala: Vergilstudien.

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mit demselben Rechte annehmen können, dass auch die Construction Aeole, namque cet. (wo Aeole so zu sagen einen Satz vertritt) auf echt lateinischem Boden erwachsen konnte.

Im V. 66 ist die Leseart ventos ohne Zweifel zu verwerfen. Man kann zu Wagner's Bemerkungen hinzufügen, dass der vom Dichter offenbar beabsichtigte Gegensatz lahm und ungeschickt wäre, wenn von den zwei einander gegenüberstehenden Versen mulcere und tollere das erste zum Object fluctus, das zweite aber ein ganz anderes Object hätte. Das Object muss offenbar identisch sein. Ventos ist ein durch falsche Symmetrie (mit fluctus) entstandener Fehler. Oder es hat auf diese Änderung vielleicht einen Einfluss gehabt die homerische Stelle Od. x 21 f., wo óovúμev allerdings das Object avέuovs hat:

κεῖνον γὰρ ταμίην ἀνέμων ποίησε Κρονίων,

ἠμὲν πανέμεναι ἠδ ̓ ὀρνύμεν ὅν κ' ἐθέλῃσιν.

Übrigens wäre tollere ventos wenn auch vielleicht nicht unlateinisch, so doch hier auffallend auch aus dem Grunde, weil Aeolus wol ventis laxas dat habenas oder ventos emittit, aber nicht tollit.

Propriamque ist wol auch hier von dem dauernden Besitz zu nehmen (wie VI 871; Nep. Thrasyb. 4, 2), nicht von dem ausschliesslichen Besitz, wie Ladewig meint. Für die erstere Auffassung spricht der folgende Satz, in welchem offenbar mit grossem Nachdruck omnis annos hervorgehoben wird. *) Diese Hervorhebung wird auch äusserlich kräftig angedeutet dadurch, dass

tibi exposui, facilia sunt ea, quae a me de Vatinio et de Crasso requiris. Nam de Appio quod scribis, sicuti de Caesare, te non reprehendere: gaudeo consilium tibi probari meum. De Vatinio autem cet. Lael. §. 104.

*) Würde dagegen propriam von dem ausschliesslichen Besitze zu verstehen sein, so würde man im nächsten Verse erwarten tecum solo oder es müsste wenigstens der Hauptnachdruck auf tecum gelegt werden, was unangemessen erscheint.

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omnis an die Spitze des Satzes tritt und annos an das Ende des Verses gestellt wird. Beispiele einer solchen Sperrung, bei der fast überall gerade die an den beiden Enden des Verses stehenden Wörter kräftig hervorgehoben werden sollen, finden sich bei Vergil in so grosser Anzahl, dass man hierin natürlich keine Zufälligkeit erblicken darf, sondern ein absichtliches und wolberechnetes Mittel. Wir setzen Beispiele aus den ersten zwei Büchern der Aeneis hieher.

praesentemque viris intentant omnia mortem (I 91)

disiectam Aeneae toto videt aequore classem (128)
ductoresque ipsos primum capita alta ferentis (189)
cunctus ob Italiam terrarum clauditur orbis (233)
tertia dum Latio regnantem viderit aestas (265)
triginta magnos volvendis mensibus orbis (269)
purpureoque alte suras vincire cothurno (337)
taurino quantum possent circumdare tergo (368)
quassatam ventis liceat subducere classem. (551)

Auch können wir aus dem ersten Buch noch folgende Verse hieher stellen, die den angeführten Stellen zwar nicht ganz gleich, aber doch ähnlich sind. *)

hunc tu olim caelo spoliis Orientis onustum (289)
ipsa sed in somnis inhumati venit imago (353)
Latonae tacitum pertemptant gaudia pectus (502)
Italiam dixisse ducis de nomine gentem (533).
Beispiele aus dem zweiten Buch. **)
infandum, regina, iubes renovare dolorem (3)
virgineas ausi divae contingere vittas (168)
hanc tamen immensam Calchas attollere molem (185)
sollemnis taurum ingentem mactabat ad aras (202)

*) 502 unterscheidet sich von den früher angeführten Stellen nur dadurch, dass hier die attributive Bestimmung nicht durch ein Adjectiv, sondern durch den attributiven Genetiv gegeben wird. V. 289 u. 533 ist das Verhältniss der zwei den Vers einschliessenden Wörter kein attributives, sondern ein prädicatives.

**) Im 3. Buch finden sich 17 solche Beispiele: 33, 73, 128, 162, 203, 241, 245, 257, 365, 382, 405, 440, 475, 517, 534, 570, 589.

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