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Aen. I 683 f.

Tu faciem illius noctem non amplius unam

falle dolo et notos pueri puer indue voltus.

Diese beiden Verse haben die Bestimmung, dem Amor die von ihm zu übernehmende Rolle als eine nicht eben schwierige erscheinen zu lassen. Venus weist ausdrücklich darauf hin

1. dass Amor die ihm zugedachte Rolle nur éine Nacht und nicht länger spielen soll

2. dass Amor den Ascanius kennt (notos voltus); *) dadurch ist ihm die Aufgabe, die Miene des Ascanius anzunehmen, erleichtert

3. dass auch das beiderseitige Alter stimmt, so dass es dem Amor um so weniger schwer fallen kann, den Ascanius zu spielen. **)

Auch vorher war Venus schon bemüht, ein mögliches Bedenken ihres Sohnes im vorhinein zu beseitigen, nämlich mit den Worten

hunc ego sopitum somno super alta Cythera

aut super Idalium sacrata sede recondam,

ne qua scire dolos mediusve occurrere possit.

Mit den Worten noctem non amplius unam hat übrigens der Dichter auch noch einen anderen Zweck erreicht, den Servius mit feinem Verständniss hervorhebt: „Noctem non amplius unam; ut supra diximus, artis poeticae est non omnia dicere. Unde nunc praemisit Noctem unam. Nec enim dicturus est aut abscessum Cupidinis aut adventum Ascanii". In der That ist es vollkommen richtig, dass Vergil, nachdem er schon hier gesagt hatte noctem non amplius unam, eine ausdrückliche Erwähnung dessen, dass und wann Amor wieder die Dido verliess und Ascanius zurückkam,

*) In diesem Sinne ist notos (näml. tibi) zu verstehen und nicht etwa „vultus puero proprios, solitos“ (Forbiger).

**) Analogien für die Zusammenstellung pueri puer führen Ladewig, Forbiger, Gossrau an. Hier ist aber auch darauf zu achten, dass pueri puer innerlich berechtigt ist, da eben dadurch die leichte Ausführbarkeit der Aufgabe bezeichnet wird. Schon Servius hat dies bemerkt, indem er sagt: Pueri puer; argumentum a facili.

nicht mehr nöthig hatte; und es kann ihm wegen der Unterlassung einer ausdrücklichen Erwähnung des abscessus Cupidinis und adventus Ascanii auch von dem rigorosesten Kritiker kein Vorwurf gemacht werden.

Weidner macht darauf aufmerksam, dass diese ganze Partie, welche die List der Venus zum Gegenstande hat, eine gewisse Ähnlichkeit mit Apoll. Rhod. III, 10-166 zeigt. Es lässt sich wol annehmen, dass Vergil hier wirklich die Argonautika vor Augen hatte; klar ist aber, dass Vergil vieles anders gestaltete und gestalten musste (wie auch Weidner hervorhebt) und ferner ist ebenso klar, dass der römische Dichter seinen Vorgänger hier zu übertreffen verstand. Bei Apollonios hat die ganze Götterscene von Vers 90 an das Gepräge einer lustigen Tändelei. Komisch ist schon, wie Aphrodite über die Unfolgsamkeit ihres Söhnleins sich beklagt (Vers 91 ff.), ein komisches Moment ist die Übervortheilung des Ganymedes durch Eros; ein komisches Moment ist ferner, wie Aphrodite den Eros anredet und ihm Διὸς περικαλλὲς ἄθυρμα verspricht; lustig ist die fernere Schilderung 146 ff. Vergil dagegen hat in seiner Scene das Komische sorgfältig vermieden und ich kann Weidner darin durchaus nicht zustimmen, dass die Situation bei Vergil (nämlich der Einfall der Venus, den Amor die Gestalt des Ascanius annehmen zu lassen) etwas Komisches, dem Ernste des homerischen Epos Fremdartiges" *) habe. Davon finde ich nicht die Spur. Hätte Vergil dies beabsichtigt, so würde. er sicher auch irgendwo Ausdrücke und Wendungen gebraucht

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*) Und auch wenn man zugeben wollte, was man nicht zugeben kann, dass die Scene bei Vergil ein komisches Element involviere, so könnte man doch nicht sagen, dass dies dem Ernst des homerischen Epos fremdartig sei. Komische und humoristische Elemente finden sich auch bei Homer, und zwar nicht eben ganz selten; vgl. A 599 f, B 211 ff. und 265 ff. (Thersitesscene), 5 ff., E 421 ff. (worauf selbst der Vater der Götter und Menschen lächelte 426), 418 ff., 489 ff. Besonders aber wäre hier zu berücksichtigen die 4ios anáτn im 14. Buche der Ilias. Noch reicher ist an komischen und humoristischen Momenten und Ausdrücken die Odyssee, wie es die Natur der Sache mit sich brachte.

haben, die das komische Element verrathen würden, wie Apollonios solche Wendungen reichlich gebraucht hat. Bei Vergil finden sich aber solche Ausdrücke nicht. Und die Sache selbst, nämlich die Verwandlung des Amor, kann man nach der Intention des Dichters nicht für ein komisches Element ansehen; denn wie sollte man darin etwas komisches finden, wenn man die Folgen bedenkt, welche die List der Venus für Dido hatte? wie sollte man es für komisch halten una dolo divom si femina victa duorum est", um die Worte der Juno IV 95 zu gebrauchen? Ein komisches Element würde ohne Zweifel störend sein, wie man denn das komische Gepräge der betreffenden Scene bei Apollonios (welche in einzelnen Punkten an den lustigen homerischen Hermeshymnos erinnert) mit Rücksicht auf die poetische Oekonomie schwerlich billigen kann. Die Tändelei bei Apollonios und dann die Schilderung der Liebe der Medea und des Seelenkampfes, den sie besteht u. s. w. dies ist eine Disharmonie, die man nicht berechtigt und nicht angemessen finden kann.

Ich kann nicht umhin bei dieser Gelegenheit noch eine Bemerkung über eine andere Ansicht, die Weidner bei der Beurtheilung der Vergil'schen Partie äussert, zu machen. In Betreff des Motivs nämlich sagt Weidner S. 236, dasselbe trete bei Apollonios klar hervor. „Bei Vergil (fährt Weidner fort), sollte man glauben, liegt eine Nothwendigkeit nicht vor, den Cupido eingreifen zu lassen. Von Dido droht keine Gefahr, sie ist durch Mercur und durch das Erscheinen des Aeneas diesem so freundlich gestimmt, dass ihre Zuneigung bereits Liebe genannt werden kann. Wozu also noch Amor? Der Dichter antwortet darauf 661-662. 671—675. Also ne quo se numine mutet Dido! Konnte aber nicht dennoch Juno Gefahren bereiten, konnte sie nicht Feindschaft erregen zwischen Dido und ihrem Volke eben wegen der Aufnahme der Fremden? Sie konnte das ebenso wie sie später (lib. VII) den Latinus hinderte an dem Frieden mit Aeneas. In der That macht denn auch tanto cardine rerum dennoch bei Vergil Juno keine ernsten Anstrengungen, cf. IV, 90-128. Im Gegentheil ist es Venus, welche den Aeneas jetzt und später (lib. IV) durch das Eingehen auf Juno's Vorschlag in ernste Gefahr bringt, aus welcher

nicht sie selbst ihn rettet, sondern ein deux ex machina, nämlich Mercurius oder Juppiter (IV, 219-278). Denn das Eingreifen des Jupiter wird nur schwach motivirt durch das Gebet des Jarbas (IV, 198-218). Freilich ist das Motiv für das Eingreifen des Eros in die Handlung, obwohl es Vergil selbst aufstellt, doch nur ein Schein-Motiv. Der Hauptgrund ist offenbar für den Dichter gewesen, durch diese Verwicklung endlich Feindschaft zu stiften zwischen Dido und Aeneas und daraus die Erbfeindschaft zwischen den Römern und Puniern herzuleiten. Er muss also diesen deus ex machina zu Hülfe rufen, um seinem Werke einen nationalen Hintergrund zu verschaffen."

Ich kann dem trefflichen Vergilerklärer, dessen Ausführungen man oft auch da, wo man ihnen nicht zustimmen kann, mit Interesse liest, auch in diesem Puncte nur theilweise folgen. Den Grund für die Einführung des Amor muss man in erster Reihe in dem auch sonst unverkennbaren Streben des Dichters suchen, dem Leser eine warme Sympathie für die schöne und herrliche Königin der Poener einzuflössen. Entfernen wir den Cupido und seine daemonische Einwirkung auf Dido aus der Aeneis, denken wir uns den Fall, dass Dido selbst in heftiger und unseliger Liebe zu Aeneas entbrannte und fragen wir dann, welche Darstellung den Vorzug verdient, ob die vom Dichter wirklich gewählte oder diese hypothetisch angenommene: so wird wol niemand Bedenken tragen, sich entschieden für den Dichter auszusprechen.

Absichtlich erwähnt Vergil vor der Einwirkung Amors die Liebe der Dido nicht, und wir haben nicht das Recht zu sagen, „dass ihre Zuneigung zu Aeneas bereits vor dem Auftreten Amors Liebe genannt werden kann" (wie Weidner sagt). Die Stellen, die hier überhaupt in Betracht kommen könnten, sind 303 f., 575 ff., 615 ff., 670 ff. Aber alle diese Stellen beweisen nicht das, was Weidner annimmt,*) zumal da diesen Stellen andere entgegenstehen, welche darthun, dass erst durch die List der Venus Dido in Liebe zu Aeneas entbrennen sollte, nämlich V. 657 ff.

*) Sie beweisen nur, dass Dido dem Aeneas und den Troern überhaupt ein lebhaftes Interesse entgegenbrachte, ein Interesse, dessen Grund wir in dem gewiss aufrichtigen non ignara mali miseris succurrere disco zu finden uns bescheiden müssen.

at Cytherea novas artes, nova pectore versat consilia, ut faciem mutatus et ora Cupido pro dulci Ascanio veniat donisque furentem incendat reginam atque ossibus inplicet ignem dann 673 ff.

685 ff.

und 719 ff.

quocirca capere ante dolis et cingere flamma
reginam meditor, ne quo se numine mutet,
sed magno Aeneae mecum teneatur amore

ut cum te gremio accipiet laetissima Dido
regalis inter mensas laticemque Lyaeum,
cum dabit amplexus atque oscula dulcia figet,
occultum inspires ignem fallasque veneno

at memor ille

matris Acidaliae paulatim abolere Sychaeum
incipit et vivo temptat praevertere amore

iam pridem resides animos desuetaque corda.

Nach der Darstellung des Dichters entbrannte die unglückliche Dido (infelix, pesti devota futurae V. 712) nicht so leichthin in Liebe zu Aeneas; sie bestand auch nach der Ausführung der List Cupido's einen harten Seelenkampf, indem sie ihrem todten Gatten Sychaeus eine pietätsvolle Treue bewahren wollte (IV 24 ff.). Darnach müssen wir auch annehmen, dass ohne die List der Venus alles anders gekommen wäre und dass es dieser List bedurfte, um im Herzen der Dido Liebe zu Aeneas zu erwecken.

Wenn man nun freilich weiter fragt, warum der Dichter die Liebe der Dido zu Aeneas als ein wichtiges Moment in seine Dichtung aufnahm, so muss man allerdings darauf kommen, was Weidner bemerkt, dass „durch diese Verwicklung Feindschaft zwischen Dido und Aeneas gestiftet und daraus die Erbfeindschaft zwischen den Römern und Puniern hergeleitet werden sollte (vgl. IV 612 ff. 622 ff.). Aber dies Motiv kommt bei der Frage nach der Ursache der von der Venus angewandten List nicht in erster Linie in Betracht. Wenn der Dichter nichts weiter beabsichtigt hätte, als das, was Weidner mit den eben angeführten Worten be

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